Klondike
Händen seine Rechte und sagte mit tiefer Besorgnis in der Stimme: »Junger Mann!
Lassen Sie sich da bloß nicht mit hineinziehen! Sie dürfen sich auf keinen Fall überreden lassen, diese Route zu nehmen!«
»Was ist denn daran so schrecklich?« fragte Philip, was sie aber noch mehr aufwühlte. Ganz unerwartet kehrte sie ihm den Rücken, hob ihren rechten Arm und gab drei Männern, die etwas weiter entfernt in einer Gruppe zusammenstanden, ein Zeichen. Kaum hatten sie die Dame winken sehen, eilten sie auch schon zu ihr.
»Hat dir der Kleine was getan?« fragte einer der Männer drohend; wie die anderen drei war er untersetzt, dunkelhäutig und in den Dreißigern, aber sie hielt sie mit einem entwaffnenden Lächeln zurück. »Nein, nein! Ein netter junger Mann aus London. Er hat sich nur nach der Nordroute erkundigt.« Dann stellte sie die drei Burschen vor: »Steno Kozlok, mein Mann; sein Bruder Markus, und das ist mein Bruder Stanislaus. Farmer aus Norddakota, mich eingeschlossen.«
»Warum hast du uns gerufen, was gibt’s?« wollte Steno wissen. Aus dem schweren Akzent und dem dunklen, kantigen Gesicht schloß Philip, daß er und die beiden anderen Männer Einwanderer aus einem slawischen Land, möglicherweise sogar Rußland sein mußten. Die drei waren von einer Statur, als hätte man sie mit wenigen Axtschlägen aus einer Eiche herausgehauen, und Philip dachte nur: »Nur gut, daß sich die Dame nicht beleidigt fühlt. Wenn die drei auf mich losgegangen wären, wer weiß ...«
»Ich heiße Irina Kozlok«, sagte sie in weichem Tonfall, was sich aus ihrem Mund wie ein Lied anhörte.
»Woher kommen Sie? Ich meine, bevor Sie nach Norddakota ausgewandert sind?«
»Ach«, lachte sie, »da würden Sie ja doch nie drauf kommen.« Dann erzählte sie, daß ihr Mann Steno und dessen Bruder Markus aus einem entlegenen Gebiet des österreichischen Kaiserreichs stammten. »Sein richtiger Name lautet Kozlow-kowicz, aber als wir heirateten, zeigte sich, daß keiner den Namen aussprechen, geschweige denn schreiben konnte.
Ich mußte ihn überreden, daß er ihn in Kozlok änderte. Jetzt kann jeder meinen Namen aussprechen.«
»Und Sie selbst ... und Ihr Bruder?« fragte Philip weiter, und wieder antwortete sie, als wollte sie sich über ihn lustig machen: »Sie kommen ja doch nicht drauf.«
»Warum nicht?« entgegnete er. »Ihr Haar ist blond. Und seins ist noch heller. Vielleicht aus Schweden?«
Sie lachte erneut: »Das meinen alle. Nein, wir kommen aus einem Land, von dem Sie sicher noch nie gehört haben. Estland.«
»Aber ja!« rief er wie ein Kind, das nach langem Suchen endlich des Rätsels Lösung gefunden hat. »Natürlich habe ich davon schon gehört. Ein Teil von Rußland.«
Ihr Lächeln verschwand. »Estland ist Estland. Es gehört zu keinem anderen Land.« Doch dann, aus Furcht, sie könnte zu streng wirken, fuhr sie im freundlicheren Tonfall fort: »Hört mal her, Männer. Dieser junge Herr hier hat vor, den Landweg nach Dawson zu riskieren. Erzählt ihm mal, was ihn da erwartet.«
Kaum hatte sie den Satz beendet, traten die drei Burschen näher an Philip heran und redeten alle auf einmal drauflos, aber das Kauderwelsch, soviel verstand er, lieferte ihm genau die Information, hinter der Lord Luton her war. »Mörderisch . man sollte den Scheißkerl erschießen, der uns die Route genannt hat . kein markierter Weg . können sich nicht vorstellen, wie viele Pferdekadaver in der glühenden Sonne verwesen ... und bedenken Sie, Sie müssen fast ein ganzes Dutzend Flüsse durchwaten, ziemlich wildes Gewässer . wenn Schnee einsetzt, erfrieren alle zu Tode.«
»Und das ist erst die halbe Wahrheit«, gebot die junge Frau dem Redeschwall Einhalt.
»Sie haben die Route tatsächlich versucht?« warf Philip ungläubig ein.
»Und ob«, sagte Steno, und sein Bruder fügte hinzu: »Aber wir waren klug genug, frühzeitig wieder umzukehren.«
Irina unterbrach von neuem: »Wenn Ihre Leute daran denken, diesen Weg einzuschlagen, müssen Sie sie sofort davon abhalten.«
»Wenn wir alles darangesetzt hätten und noch weiter vorgerückt wären«, sagte Steno, »hätte uns der Schnee überrascht, und wir wären eingeschneit gewesen, den ganzen Winter lang.«
»Ohne Kleidung und Proviant«, fügte seine Frau noch hinzu.
»Was haben Sie jetzt vor?« fragte Philip. »Zurück nach Norddakota?«
»Auf gar keinen Fall!« kam es von den drei Männern wie aus einem Mund. »Wir sind wegen des Goldes gekommen. Und wir holen es
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