Klondike
Gedanken und Befürchtungen konnte er nicht ziehen, aber es fiel ihm auf, daß sie weniger sprachen und an den Abenden zu erschöpft waren, um noch irgend etwas anderes tun zu können, als sich auf ihre enge Schlafstatt fallen zu lassen. Seminare wurden nicht mehr abgehalten. Jetzt ging es nur noch ums nackte Überleben.
Im Laufe der letzten Augustwoche brach Lord Luton das Schweigen. Eines Tages, beim Abendessen - es gab Bohnen ohne Fleisch -, sagte er abrupt: »Ich hoffe, es ist euch klar, daß wir bald unser Dauerlager aufschlagen müssen.«
»Kommen wir wohl nicht drum herum«, meinte Carpenter.
Fogarty schwieg sich aus, und auch Trevor sagte keinen Ton, erleichtert, daß ihre mißliche Lage ausgesprochen war.
Mitte September, als es mit dem Staken und Schleppen den Fluß aufwärts am schlimmsten war, unternahmen die Männer ein paar letzte große Kraftanstrengungen, um diesen barbarischsten Abschnitt des Peel vor dem ersten Schneefall, solange noch Zeit war, eine angenehme Stelle zum Überwintern auszusuchen, hinter sich zu bringen. Diesmal war ihnen Erfolg beschert, sie brachen zu einem einladenden Plateau vor, am Fuße der Rockies. Im Laufe der zweiten Oktoberwoche, als die Temperatur nahe Null war, zogen sie ihr Gefährt an Land, räumten die bescheidene Menge an Ausrüstung, die ihnen noch verblieben war, aus, lehnten die Bootshälfte gegen Felsstein, als Schutz gegen die Nordwestwinde, und fingen an, nach Ästen und Bruchstücken von angeschwemmten Holzbrettern Ausschau zu halten, die man für den Bau einer Hütte verwenden konnte, wobei sie sich bewußt waren, daß sie an ihr bequemes erstes Quartier, dessen sie sich im Winter davor erfreut hatten, nicht heranreichen würde.
Während der Arbeit beschäftigte jeden von ihnen der Gedanke: »Großer Gott! Diesmal noch näher am Polarkreis!« Und jeder schwor sich, daß er Kräfte sparen werde, die bescheidenen Rationen essen werde, ohne sich zu beklagen, und alles unternehmen werde, um gesund zu bleiben. Und alle baten ihren Herrgott um innere Stärke.
Als der Winter einsetzte, sechzehn Monate waren seit ihrem Aufbruch von Edmonton vergangen, befanden sich die Männer bei guter körperlicher Verfassung, wie man sie den Umständen entsprechend erwarten konnte. Carpenter und Blythe hatten sich beim Schleppen ein paar Schrammen am Schienbein geholt, und alle hatten deutlich an Gewicht verloren, nicht aus Mangel an Nahrung, sondern von den Stunden schier endloser Strapazen. Keiner hatte irgendwie erkennbare Krankheit, keiner hatte schlechte Zähne oder litt an Unterernährung, aber alle standen vor einem der härtesten Winter, mit Temperaturen, die niedriger als die ihnen bekannten entlang des Mackenzie waren, und das alles mit erschreckend unzureichendem Proviant.
Dieses Jahr sollte es neue Regeln geben, wie Lord Luton erklärte: »Was die Latrine betrifft, bleibt es beim alten. Tägliches Lauftraining wie gehabt, und daß sich keiner davor drückt.
Keiner, und damit ist es mir ernst, wirklich keiner darf irgend etwas außerhalb der gemeinsamen Mahlzeiten verzehren, wenn alle anwesend sind. Gebt mir euer Wort darauf.« Die Männer schworen, alle Nahrung gerecht aufzuteilen und nur in Gegenwart der anderen zu essen. »Beten wir, daß unser vortrefflicher Wilderer Fogarty seine Fähigkeiten für einen guten Zweck nutzt.« Jagdpatronen besaß die Gruppe ausreichend dank des Geschenks von George Michael. Fogarty versprach, sein Bestes zu versuchen, er hoffe nur, Major Carpenter möge ihm dabei behilflich sein, da er ein geübter Schütze sei.
Merkwürdigerweise war es Fogarty, der ein Gespür für die lauernden Gefahren in den Männern wachrief, die sie bislang erfolgreich verdrängt hatten. Die Latrine war an der gleichen Stelle wie vorher ausgehoben worden, aber Fogarty fiel auf, daß die anderen drei versäumten, sie auch so häufig zu benutzen, wie nötig gewesen wäre. Eines Abends warnte er sie vor möglicher Verstopfung: »In Edmonton hat man mir erzählt, Verstopfung sei der Fluch kalter Klimaregionen. Gentlemen, überhören Sie nicht die kleinen Signale aus Ihrem Unterleib.«
Er selbst war bereit, so lange wie nötig auf der Latrine zu hocken. »Sein Hintern muß mit Bärenfell ausgelegt sein«, bemerkte Harry, aber Fogarty ließ sich von seinen Latrinensitzungen nicht abbringen. Es war vielmehr seine Äußerung bei der Rückkehr, die Unmut hervorrief, denn jedesmal wenn er die warme Stube betrat, tat er einen Seufzer tiefer Befriedigung, wobei er
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