Klondike
Berge überwunden hatten, die ihnen von Anfang an ein Hindernis gewesen waren.
Es war ein denkwürdiger Tag im Juni, als Fogarty, in der führenden Position, hinter einer Wegbiegung verschwand und plötzlich ausrief: »Milord, da liegt es!« Luton hastete hinterher, spürte einen Schwindel und schüttelte ein paarmal den Kopf, um klar sehen zu können. Unter ihm, auf einer schmalen Landhöhe, einen großen Fluß entlang, standen die Zelte und falschen Fassaden des Ortes, der Dawson City sein mußte. Es endgültig und in Wirklichkeit vor sich sehend, nicht als Trugbild, verfielen die beiden Männer in Schweigen. Was hatten sie nicht alles besiegt und hinter sich gebracht: Skorbut, Temperaturen von minus sechzig Grad, Stromschnellen, über die ihr Boot mit bloßen Händen getragen werden mußte, die mörderi-
schen Moskitos - nun hatten sie ihr Ziel erreicht, nach dreiundzwanzig Monaten und beinahe zweitausendeinhundert Meilen durch die Hölle.
Keiner von beiden zeigte sich besonders erfreut oder brach in Siegesgeheul aus, aber auch keiner verriet dem anderen die Dankgebete, die er gen Himmel schickte, nur Lord Luton wußte, was einem Gentleman im Augenblick eines so außergewöhnlichen Triumphes gut zu Gesicht stand. Er wies Fogarty an, ihr Lager in dem baumbewachsenen Areal, das zum Flußufer hin abfiel, gut zu kaschieren, damit niemand aus Dawson sie sah, bevor sie nicht wirklich bereit waren für ihren Auftritt. »Fogarty, wir betreten die Stadt mit Stil«, sagte er, und zwei Tage lang hielten er und der Ire sich von der Stadtgrenze fern, reinigten ihre Ausrüstung, wuschen ihre Kleidung und richteten ihr äußeres Erscheinungsbild wieder her. Einem kleinen Etui, noch aus seiner Zeit bei der Armee, entnahm er Nadel und Faden, und den überwiegenden Teil des zweiten Tages thronte er auf einem Felsen und stopfte die Löcher in seiner Jacke. Fogartys Bart stellte noch ein Problem dar. »Er muß runter«, verlangte Luton. »Es wäre nicht standesgemäß, wenn ich glattrasiert herumliefe, aber Ihnen diesen Wildwuchs erlaubte. Es würde so aussehen, als würde es mir nichts ausmachen.«
»Ich würde ihn gern behalten, Milord. Er war ganz nützlich gegen die Moskitos.« Gnade wurde jedoch nicht gewährt, und den Nachmittag des zweiten Tages verbrachte Fogarty damit, Wasser zum Kochen zu bringen, den dichten Bart einzuseifen und an den Rändern herumzuschnippeln, jedesmal aufjaulend, wenn der Schmerz unerträglich wurde. Am Ende warf er das Messer zu Boden: »Ich kann nicht«, worauf Luton das Messer aufhob und sagte: »Also gut, ich schon.«
Und zum erstenmal während der langen Reise berührte Lord Luton seinen Diener freiwillig.
Er hieß ihn auf einem Baumstamm Platz nehmen und deckte seinen dichten Bart mit soviel Schaum ein, wie ihre letzten
Seifenreste hergaben. Dann packte er Fogarty am Schopf, kippte seinen Kopf nach hinten der warmen Juni sonne entgegen und fing an, ihm die Barthaare samt Wurzeln auszureißen. Fogarty befreite sich, sprang auf die Beine und brüllte: »Ich mach’s lieber selbst!« Und den Rest des Tages, bis in den Abend hinein, schlug er sich, bewaffnet mit einem alten, ausgedienten Messer, das er fast fünfzigmal über den Streichriemen zog, mit seinem Bart herum, legte nach und nach immer mehr seiner glatten irischen Gesichtshaut frei.
Zur Schlafenszeit sah er ganz ansehnlich aus, ein schlanker, robuster, rotgesichtiger Mann, der ebenso wie Lord Luton dazu beigetragen hatte, die Truppe zusammenzuhalten.
In der Nacht, als Fogarty nicht hinsah, nahm Lord Luton eine der beiden übriggebliebenen Fleischkonserven aus seinem Gepäck, stellte sie auf einen abgeflachten Felsen und legte leise das Beil daneben. Als Fogarty schließlich aufsah, war er überwältigt, und nach einer kurzen, schmerzlichen Pause, in der keiner von beiden vor Freude ein Wort sagen konnte, nahm der Ire das Beil an der Schneide in die Hand und schob Luton den Holzgriff hin. »Es sind Ihre Dosen, Milord. Sie haben sie bis hierher geschleppt. Ich überlasse Ihnen die Ehre.«
Nachdem das Fleisch ordentlich angerichtet war, durchwühlte Fogarty die Ausrüstung nach Krümeln, die sich dort noch versteckten, und bereitete einen letzten Eintopf, den er auf höchst vornehme Weise seinem Herrn servierte: »Ein Löffel für Sie, einer für mich, denn, Milord, nicht einmal während der ganzen Reise hat jemand von uns die Regel fürs Essen durchbrochen. Keiner hat heimlich etwas zu sich genommen, keiner auf Kosten der anderen
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