Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
Vom Netzwerk:
anderen ihn vom Fahrer weg und die Straße entlangzerren.
    Sie trennen sich. Freddie und Willie gehen in die eine Richtung, Akins und Kliney in die andere. Willie ist froh, bei Freddie zu sein, der immer noch die Pistole hat. Er ist in Philly aufgewachsen und weiß, wo sie sich verstecken können. Mit eingezogenen Schultern marschieren sie Seite an Seite im Schneesturm gegen den Wind. Zehn Straßenblocks. Zwanzig Straßenblocks. Dann von hinten Sirenen. Sie huschen hinter ein Haus. Polizeiautos halten quietschend am Randstein. Rote Lichter tasten den Schnee ab. Willie läuft geradewegs den Gartenzaun hoch, wie ein Mann in einem Zeichentrickfilm. Freddie gleich hinter ihm. Gewehrfeuer – der Zaun explodiert. Freddie schreit auf. Willie stürzt unglücklich, rafft sich wieder auf und sprintet eine verschneite Gasse entlang. Irgendwie gelingt es ihm, wieder seinen Laufrhythmus zu finden. Er mahnt sich, nicht zurückzublicken, nicht an die Wachen zu denken, die auf ihn zielen. An die Dunkelheit, die ihn gleich verschlucken wird, wenn die Kugeln die Stelle genau zwischen seinen Schulterblättern treffen.
    Seine Lunge brennt, seine Beine geben gleich nach, er schwenkt nach rechts in einen Seitengarten. Eine Kellertür – er packt die Klinke. Abgeschlossen. Er zieht fester, sprengt das Schloss, hechtet hinein. Der Boden ist aus Beton, eiskalt. Er landet auf dem Gesicht. Aus seiner Nase quillt Blut. Er kommt mühsam auf die Beine, zieht die Tür zu.
    Heulende Sirenen fahren vorbei, werden immer schwächer.
    Er wartet. Summt leise und versucht, sich zusammenzureißen.
I don’t wanna play in your yard. I don’t like you anymore
. Er geht auf und ab. Nach zwei Stunden öffnet er die Kellertür.
You’ll be sorry when you see me. Sliding down our cellar door
. Er rennt und rennt durch kniehohen Schnee. Es schneit immer stärker, der Wind weht böig. Flocken fliegen ihm in Augen und Mund. Seine Schuhe sind voller Schnee, er spürt seine Zehen nicht mehr. Wo zum Teufel ist die Straße?
    Da. Zwischen den Bäumen – verschwommene Scheinwerfer. Jetzt das Zischen von Autoreifen auf Schotter. Er stellt sich auf den Randstreifen, hält den Daumen raus. Ein schwarzer Nash hält an, am Steuer ein Mann in einem glitzernden grauen Anzug. Du siehst ganz schön durchgefroren aus, Kumpel.
    Bin ich auch, sagt Willie. Mein Auto ist liegengeblieben. Scheiß Chevys.
    Darum bin ich ein Nash-Fan.
    Wo fahren Sie hin?
    Princeton. Hilft Ihnen das?
    Und wie. Meine Schwester wohnt da.
    Steigen Sie ein.
    Wie sich herausstellt, war es nicht reine Freundlichkeit, die den Mann zum Anhalten veranlasst hat. Er braucht jemanden, mit dem er über sein Sexleben reden kann. Über die verschiedenen Frauen, die er flachlegt und wie genau er sie flachlegt, ohne Wissen seiner Frau. Und ohne Wissen seiner Freundin. Er mag den Ausdruck
ohne Wissen
, bringt ihn in jedem Satz unter, rammt ihn hinein, ob er passt oder nicht. Er erzählt Willie, dass er Mietobjekte in Long Island, New Jersey und Queens besitzt, und wenn er herumfährt, um die Miete zu kassieren, kommt er zum Schuss.
    Erst vor ein paar Tagen, sagt er, war ich bei einer Familie, nur Mami und drei Kinder, Papi ist in Übersee gestorben, Sie wissen ja, wie das geht, und dann erzählt mir Mami, dass sie die Miete nicht zahlen kann und sie ihre Arbeit verloren hat, buhu, sie fleht mich an, sie und die Kleinen nicht auf die Straße zu setzen, und sie sieht echt gut aus, wirklich wahr, also sage ich, klar, du kannst bleiben, kein Problem, du heiße Braut, wenn du dich gleich jetzt über diesen Stuhl beugst und dich vögeln lässt, weil es bei mir nämlich nichts für umsonst gibt. Sie sagt, bitte nicht, meine Kinder sind nebenan, und ich, na schön, dann musst du aus der Wohnung, aber just in dem Moment kommt die Tochter aus dem Schlafzimmer, und was für eine Puppe, fünfzehn, sieht aber aus wie fünfundzwanzig, außerdem williger als die Mami, und na ja, ich muss wohl nicht erzählen, was dann passiert ist.
    Nein, sagt Willie. Müssen Sie nicht. Bitte.
    Willie würde am liebsten den Kopf gegen den Sitz fallen lassen und die Augen schließen, aber Sexmaniac mag nicht aufhören. Und noch schlimmer, er ist eingeschnappt und gekränkt, dass Willie nichts zur Unterhaltung beiträgt, was offenbar der unausgesprochene Preis für eine Fahrt nach Princeton ist. Wer mit Sexmaniac fahren will, muss ihm etwas bieten. Und so unterhält Willie ihn mit einer Reihe von erfundenen sinnlichen Heldentaten, für die er sein

Weitere Kostenlose Bücher