Knapp am Herz vorbei
Willie den Jackie Robinson der Bankräuber zu nennen?
In Queens bekommt Willie eine Einzelzelle, ein Cop wacht rund um die Uhr an der Tür. Er liegt auf der Pritsche und denkt an Margaret. Ob sie die Nachrichten sieht? Ob sie mutig genug, dumm genug ist, ihn zu besuchen? Er denkt an Bess und stellt sich dieselbe Frage. Um Mitternacht erscheint der Gefängnisdirektor. Aufmachen, sagt er zum Cop an der Tür.
Willie steht auf. Der Gefängnisdirektor bedenkt ihn mit einem schwer zu deutenden Blick. Hallo, Willie.
Hallo, Direktor.
Willie Sutton.
Ja, Sir.
In meinem Gefängnis. Willie the Actor.
Manche nennen mich so.
Geboren am 30 . Juni 1901 .
So sagt man. Ich kann mich nicht erinnern.
Brauchst du irgendwas, Willie?
Brauchen
?
Ja, Willie.
Jetzt fällt es Willie auf: das weiße Haar, die blauen Augen, das Gesicht mit den roten Äderchen, die an einen Busfahrplan von Belfast erinnern. Der Gefängnisdirektor ist Ire.
Meine Güte, ja, Direktor. Ich hätte gern ein Buch.
Er sieht, dass der Direktor gern lächeln oder zwinkern würde, aber seine Position, seine Rolle hindern ihn daran.
Ein Buch, Willie?
Ich bin ein großer Leser.
Was du nicht sagst, Willie. Ich auch. Welches Buch möchtest du denn?
Draußen erklärt der Gefängnisdirektor den Dutzenden von Reportern, dass Willie the Actor
1919
lesen möchte, den historischen Roman von John Dos Passos. Atemlos nehmen die Reporter dieses Detail in ihre Geschichten mit auf, ohne dass ihnen die Bedeutung bewusst ist. Trotz der Einzelzelle, trotz des Wächters vor der Tür ist Willie Sutton ihnen wieder entkommen. Er ist im Jahr 1919 , bei Bess. Eigentlich ist er nie anderswo gewesen.
New York nimmt die Geschichte von Willies Verhaftung begeistert auf. Linker Cop und Rechter Cop, die zunächst gar nicht wussten, wen sie da geschnappt hatten, werden wie Helden gefeiert. Auf jeder Titelseite sind sie abgebildet, wie der Bürgermeister ihnen die Hand schüttelt, wie sie vom Kommissar befördert werden. Ein besonderer Tag für zwei pflichtbewusste Cops, die den schlauesten Fuchs aller Zeiten ausgetrickst haben. So sieht es aus, bis die Seifenblase platzt und der junge Mann aus der U-Bahn auftritt. Er erzählt den Zeitungen, dass
er
The Actor entdeckt hat,
er
ihm aus der U-Bahn gefolgt ist –
er
die Cops aufmerksam gemacht hat. Der junge Mann ist zum nächsten Funkwagen gegangen und hat gesagt: Halten Sie mich nicht für verrückt, aber da vorne ist Willie Sutton. Linker Cop und Rechter Cop haben Willies Personalien geprüft und den jungen Mann tatsächlich für verrückt gehalten. Dann sind sie zurück aufs Revier. Zum Glück haben sie die Geschichte dem diensthabenden Sergeant erzählt, und der hat sie zurückgeschickt, um diesen Julius Loring zu holen, nur um sicherzugehen.
Natürlich will der junge Mann die Belohnung. Jahrelang haben die Banken mit viel Geld um Informationen geworben, die zu Suttons Festnahme führen. Eine Summe von angeblich über siebzigtausend Dollar. Der junge Mann hat gerade seine Zeit bei der Küstenwache abgedient, er könnte das Sümmchen also gut gebrauchen. Er könnte heiraten, eine Familie gründen. Außerdem, erzählt er den Reportern und Fotografen, die sich an der Seven Eight um ihn drängen, würde er gern das Haus seiner Eltern in Brooklyn herrichten. Oder ihnen vielleicht sogar ein schöneres kaufen.
Das alles sagt der junge Mann scheu und ernst, mit einem Brooklyner Akzent, der genau so schwer ist wie Willies.
Die Reporter fragen nach seinem Alter.
Vierundzwanzig, sagt er, als wäre das eine Leistung.
Tatsächlich feierte er seinen Geburtstag erst wenige Tage vor der Begegnung mit Willie in der U-Bahn. Natürlich ist er im Februar geboren, dem Monat aller wichtigen Ereignisse in Willies Leben. Vor vierundzwanzig Jahren, kurz nachdem Willie Dannemora verließ und in die Welt zurückkehrte, erblickte der Junge das Licht der Welt. Seine Eltern, Max und Ethel Schuster, tauften ihn Arnold.
Für seine Freunde Arnie.
Die Cops mauern einen oder zwei Tage, doch dann müssen sie sich Arnies jungenhaftem Pfadfindergesicht geschlagen geben. Sie müssen wohl oder übel zugeben, dass die erste offizielle Version der Ereignisse – überaus wachsame Cops, bombige Polizeiarbeit – nicht ganz akkurat war. Zähneknirschend führen sie Linken Cop und Rechten Cop von der Bühne und umarmen Arnie Schuster, den guten Samariter. Zumindest für die Kameras.
Für die Cops ist Arnie ein Ärgernis, für Teile von Brooklyn ein leuchtend rotes
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