Knigge fuer Individualisten
Ihnen zwar am Herzen, doch wenn Sie Ihre
Wertschätzung zeigen wollen, sind Ihnen steife Rituale bei weitem zu
formell und unpersönlich. Sie finden, dass so etwas schnell in
»Förmelei« ausartet. Soll etwa ein Mann einer Frau aus dem
Mantel helfen, die einen Kopf größer und 40 Jahre jünger ist als er? Auch
über die Frage, wie eine promovierte Gräfin anzusprechen ist, lachen Sie
nur. Da geht es nicht um Manieren, das ist nur manieriert. Sie halten das
für die Pflege einer Fassade als leerer Hülle. Ihre Großmutter hätte dazu
gesagt: »Außen hui, innen pfui.« Sie putzen sich nicht einmal für ein Fest
heraus. Smoking? Abendkleid? Nein, danke. Sie verkleiden sich
nicht.
»Etikette« kommt von »Etikett«, und schon das macht Ihnen
die Sache suspekt. Vielleicht wussten Sie bereits, dass am französischen
Königshof der Rang der Besucher auf Notizzetteln (»Etiketten«) festgehalten
wurde –, damit sichtbar war, wer sich vor wem zu verbeugen hatte und wer
dies von wem erwarten durfte. Unterwerfungsgesten? Ja, wo leben wir denn!
Kleidung, Frisur, Schmuck, Körpersprache, Hochsprache: Sie lehnen es ab,
dass diese Attribute auch heute noch als Marker einer sozialen Zugehörigkeit
– als Etikettierung – dienen. Sie verabscheuen es, dass aufgrund dieser
»Labels« Menschen der Zugang zu einer Gruppe verwehrt oder dass das
berufliche Fortkommen wegen solcher »Äußerlichkeiten« behindert
wird.
Das ist das Gegenteil dessen, was Sie als natürlich und
anständig empfinden. Anstand ist für Sie eine moralische Verpflichtung, die
auf wahren Werten basiert: Echtheit, Natürlichkeit, Humanität,
Einfühlungsvermögen, tätige Hilfe. Zu Ihren
Erfolgsgeheimnissen zählt die Fähigkeit, den Standpunkt der anderen zu
verstehen und die Dinge mit deren Augen zu sehen. Achtsam durch
die Welt gehen, Menschen die Hand reichen, das ist Ihr Streben. Und so
wollen Sie gesehen, geschätzt und verstanden werden. Sie wollen an Ihrer
authentischen Natur und Ihren guten Taten gemessen werden. Schamgefühle
entwickeln Sie nicht, wenn Sie mit Rolli, Cordhose und Sportschuhen zwischen
gestylten Schlipsträgern sitzen, sondern wenn Sie einen Menschen verletzt
haben.
Wenn Sie zu sehr auf Ethik und Moral pochen, kann das in
gemütlichlockerer Runde oder im Business befremdlich wirken. Überfordern Sie
Ihre Mitmenschen nicht mit Ihrer Ehrlichkeit und Natürlichkeit. Nicht jeder
ist so moralisch und empathisch wie Sie, nicht jeder möchte sich an Ihren
Busen drücken lassen.
T wie TRADITIONELL nach alter
Schule
Sie haben nichts gegen Regeln – wenn deren Gültigkeit
erprobt ist. Für neuere Konventionen der Etikette gilt das Ihrer Meinung
nach noch lange nicht. Die Gleichberechtigung der Geschlechter betrachten
Sie unter juristischen Gesichtspunkten als selbstverständlich. Doch warum sollte sich das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in den kleinen Ritualen des Umgangs
niederschlagen, die seit Jahrhunderten als Erfolgsmodell gelten? Das Zusammenspiel von Dame und Herr in der Tradition der
Ritterlichkeit soll ein alter Zopf sein? Mit Verlaub! Der Sockel ist für
eine Dame doch ein hervorragender Platz.
Als Herr halten Sie die ritterlichen Tugenden hoch: Niemand
wird Sie daran hindern, einer Dame Ihre Aufwartung zu machen. Und als Dame
haben Sie klare Ansprüche an einen Herrn. Möge er Ihnen bitteschön die
Reverenz erweisen und Ihre Erwartungen erfüllen: vorausschauend führen,
nicht nur beim Tanz, und immer den gebührenden Abstand halten. Sie haben
Vorbilder in der Geschichte, die die Bezeichnungen Lady und Gentleman verdienen.
Sie achten das Alter, Sie
respektieren Hierarchien. Haltung zu bewahren ist das A und O. Sie
lieben es, sich korrekt und vernünftig zu verhalten; Gefühlsausbrüche
– eigene wie die anderer Leute – sind Ihnen ein Gräuel. Unflätige Ausdrücke, eine saloppe Sprechweise, unbedachte Gesten,
Verstöße gegen die Kleiderordnung, Regelbrüche jeder Art sind in Ihren Augen
nicht Zeichen einer persönlichen Note, sondern schlechten Benehmens. Ein
Graus.
Risiken vermeiden und beseitigen, das ist Ihnen wichtig;
daher schätzen Sie Sitten und Gebräuche als ein festes und damit sicheres
Gewebe. Das ist der Stoff, der die – gehobene – Gesellschaft zusammenhält.
Sie wissen im Gegensatz zu den Vertretern des Etikette- Mainstreams die Vorzüge von
Ritualen zu schätzen. Sie entsprechen
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