Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
muss.«
»ESMA?«, frage ich verwundert. »Ich zahle meinen Strom bei der ORES in Malmedy.«
»Ich doch auch«, antwortet sie. »Aber was mal ESMA war, bleibt für mich ESMA, auch wenn die jetzt anders heißen.«
Es ist warm in der Gaststube, fast stickig. Alle haben sich um den großen runden Tisch versammelt. Hein springt auf und umarmt mich.
»Ach, Katja, was ist das für ein schreckliches Heimkommen. Wir hatten eine so schöne Zeit in Griechenland. Und dann das. Ich bin fix und foxi. Die ganze Erholung ist futsch. Fürchterlich.«
Ja, es ist wohl wirklich so, ich stehe nicht allein da: Jeder denkt zuerst an sein eigenes Wohlbefinden. Das durch den Mord an einem nahestehenden Menschen wahrlich empfindlich gestört wird. Dankbar drücke ich mich an Hein. Er hat keine Ahnung, wie gut ich ihn verstehe.
»Wo sie doch gerade so glücklich war«, sagt Jupp, unser sentimentales Riesenbaby, das natürlich wieder aus dem Rahmen meines neuen Weltbilds fällt. Er reicht mir seine Riesenpranke. »Wären wir doch nur früher gekommen; dann hätten wir sie vor dem Mörder vielleicht noch retten können. Vielleicht hätten wir gesehen, wie er Regine in das Haus von Katja schleppt …«
»Wir hätten ja früher kommen können«, quengelt Hein. »Ich wollte die Rote Zora sofort holen. Aber du musstest ja unbedingt noch ausgiebig dein Pferd begrüßen.«
Ich sehe Tränen in Jupps bereits geröteten Augen quellen.
»Wenn ich das gewusst hätte …«
»Hätte … hätte … hätte hilft jetzt gar nichts«, schimpft Hein.
»Hört auf zu streiten!« Gudrun schlägt mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass die Gläser klirren. Jakob Perings sitzt neben ihr. Sanft legt er ihr eine Hand auf die Schulter.
»Das ist kein Streit. Das ist Fassungslosigkeit, die nach Worten ringt.«
»Genau«, bestätigt Hein.
»Streit ist nicht immer schlecht.« Ich lasse mich auf einen Stuhl plumpsen, den mir Jupp hinschiebt, und blicke in die Runde. »Wenn ihr euch in den letzten Wochen ordentlich gefetzt hättet, so wie früher, dann hätte ich gewusst, was zwischen euch los ist, und euch vielleicht helfen können. Könnt ihr denn nicht wenigstens jetzt damit rausrücken?«
»Womit?«, fragt Jupp verwirrt.
»Du sprichst in Rätseln«, sagt Hein.
Gudrun und David starren stumm auf ihre Gläser.
»Als ihr weg wart, ist hier die Stimmung den Bach runtergegangen«, sage ich schließlich. »War totale Eiszeit, sehr ungemütlich.«
»Und warum?«, fragt Jupp.
»Wenn ich das wüsste …«
Hein springt auf und greift zur Flasche mit dem Eifelbrand.
»Ich schütte euch erst mal noch einen. Das hilft immer. Gudrun, du kannst doch nicht nur Wasser trinken! In dieser Lage brauchst du was Starkes!«
» No . Gudrun bleibt bei Wasser«, sagt David mit einer solchen Bestimmtheit, dass mir endlich ein Licht aufgeht. Auf einmal ergibt alles einen Sinn. Nein, ganz bestimmt nicht alles, aber sehr vieles.
»Seit wann?«
»Seitdem sie schwanger ist«, sage ich.
Hein stellt die Flasche mit einem Knall ab.
»Was? In deinem Alter?«, fährt er Gudrun an.
»Oss dat net schung?«, sagt Petronella Schröder versonnen zu Perings, was wohl bedeutet, dass sie es schön findet. »Der eine geht, der andere kommt.«
»Nein, Nellchen«, widerspricht Jakob Perings mit leisem Vorwurf in der Stimme, »Regine ist nicht eines natürlichen Todes im hohen Alter gestorben.« Er schluckt schwer. »Sie ist nicht gegangen. Irgendjemand hat sie brutal aus der Blüte ihres Lebens herausgerissen. Wie meinen Bruder damals auch.«
Gudrun beugt sich zu mir hin.
»Seit wann weißt du es?«, fragt sie flüsternd.
Ich ziehe es vor, diese Frage nicht zu beantworten, hebe nur die Schultern und frage zurück: »War Regine sauer deswegen? Hatte sie Angst, David würde Daniel vernachlässigen, wenn euer Nachwuchs kommt?«
Gudrun blickt mich aus leeren Augen an.
»Der Hermann wollte die Regine heiraten.«
Langsam setzt sich das Mosaik zusammen. Regine kennt einen Mann gerade mal ein paar Wochen, und der macht ihr einen Heiratsantrag. Gudrun lebt seit Jahren mit David zusammen, erwartet sein Kind und wird immer noch mit keinem Gemeinschaftsbekenntnis beglückt. Ja, das könnte böses Blut schaffen. Aber deswegen begeht man doch nicht gleich einen Mord. Auch nicht in der manchmal recht archaischen Eifel. Andererseits …
Ich sehe die Welt nicht mehr wie durch eine Milchglasscheibe, sondern ziemlich klar. So sauber, als hätte die pingelige Gudrun sie mir rein geputzt. So
Weitere Kostenlose Bücher