Knochenfunde
See sehr tief war, sodass der Mann nicht so bald gefunden würde. Mindestens drei Tage lang dürfte es keine Aufregung geben. Leonard Smythe war geschieden und hatte allein in seinem Wohnwagen gelebt, und nach allem, was Jules in Erfahrung gebracht hatte, war er ein Einzelgänger gewesen.
Jules betrachtete den Schatz, dessentwegen Smythe gestorben
war. Der Mann hätte ihm die Unterlagen sicherlich widerstandslos ausgehändigt, wenn Jules ihm eine Chance gegeben hätte, aber das Risiko war einfach zu groß gewesen.
Es war wirklich traurig, dass ein Mann nur wegen eines Klemm-
bretts und ein paar Blatt Papier hatte dran glauben müssen.
New Orleans
Victors Schädel schimmerte im fahlen Mondlicht, das durch das Fenster fiel.
Nathan schaltete das Licht über der Treppe zur Spülküche nicht ein. Er wusste, dass Joe Quinn mehrmals nachts einen Rundgang durch Haus und Garten machte, aber er wusste nicht, um welche Zeit.
Vorsichtig schlich er die Treppe hinunter. Eigentlich dürfte nichts schief gehen. Er hatte sich davon überzeugt, dass Eve tief und fest schlief. Aber Eve und Joe Quinn waren für ihn immer noch undurchschaubar, und alles Undurchschaubare war gefährlich.
Er erreichte den Fuß der Treppe und ging lautlos auf den Sockel zu, auf dem Victors Schädel ruhte. Victors Hinterkopf war ihm vertraut, aber sein Gesicht hatte er noch nie gesehen. Er holte tief Luft, dann schaltete er seine Taschenlampe ein.
Plötzlich war die Spülküche hell erleuchtet.
»Würden Sie mir erklären, was Sie hier zu suchen haben?«, frag-te Joe Quinn, der oben auf der Treppe stand.
Verdammt.
Nathan straffte sich. »Ich wollte nichts beschädigen.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.« Joe kam die Treppe herunter. »Was machen Sie hier mitten in der Nacht?«
»Ich wollte ihn einfach sehen.«
»Aber Eve möchte nicht, dass Sie ihn sehen, bevor er vollendet ist. Ist sie mit ihrer Arbeit fertig?«
Nathan schüttelte den Kopf. »Erst morgen Abend. Sie meinte, bis dahin würde ich nichts erkennen können. Aber ich dachte, vielleicht kann man ja doch schon etwas sehen.« Er runzelte die Stirn. »Ich werde nur einen Blick auf ihn werfen.«
»Tun Sie das. Ich halte Sie nicht auf.«
Nathan ging um den Sockel herum, sodass er gegenüber Victor
stand. In seinen Augen war Enttäuschung zu lesen. Das Gesicht hatte zwar eine Form, aber es fehlten deutliche Konturen. Niemand hätte in diesem Gesicht individuelle Gesichtszüge erkennen können.
»Sie hätten ihr glauben sollen«, sagte Joe. »Eve lügt nicht.«
»Das habe ich auch nicht angenommen. Ich dachte nur, ich könn-te – « Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Verdammt, das Warten macht mich ganz verrückt. Ich will es endlich wissen.«
»Sie haben ihr nicht getraut.«
»In meinem Beruf lernt man, nicht allzu vielen Menschen zu
trauen.« Nathan ging in Richtung Treppe, dann blieb er stehen und schaute Joe an. »Werden Sie ihr sagen, dass ich hier war?«
»Eigentlich sollte ich das. Eve mag Sie, und sie vertraut Leuten, die sie mag. Sie kann es überhaupt nicht ausstehen, wenn jemand hinter ihrem Rücken herumschnüffelt.«
»Ich habe ihr keinen Schaden zugefügt. Wenn man mir etwas
vorwerfen könnte, dann höchstens, dass ich übertrieben fürsorglich bin.« Sein Blick wanderte wieder zu Victor hinüber. »Es ist sehr wichtig für mich zu erfahren, wer er ist. Gott, ich hoffe wirklich, es ist nicht Bently. Ich hoffe, dass er noch lebt, vielleicht untergetaucht ist und auf seine Chance wartet, diesen Scheißkerlen den Kampf anzusagen.«
Joe musterte ihn. »Ich glaube Ihnen.« Er zuckte die Achseln.
»Vorerst werde ich den Mund halten. Sie haben ja keinen Schaden angerichtet. Aber Sie haben einen Fehler gemacht.«
»Jeder macht mal einen Fehler. Sie müssen einen ziemlich gro-
ßen gemacht haben, sonst wäre Eve nicht so wütend auf Sie.« Nathan eilte die Treppe hinauf. Oben drehte er sich noch einmal um und schaute Joe an. »Ich muss noch einen Fehler gemacht haben.
Woher wussten Sie, dass ich hier unten war?«
»Ich habe gerade meinen Rundgang durch den Garten gemacht
und durchs Fenster gesehen, dass sich hier drinnen etwas bewegte.
Es hat mich neugierig gemacht, als ich sah, dass Sie es waren. Vor allem, als Sie anfingen, mit einer Taschenlampe herumzufuchteln.«
»Vor der Küche habe ich nachgesehen, aber ich hätte vorsichtiger sein sollen.«
»Wie Sie schon sagten, jeder macht mal einen Fehler.«
Und Quinn würde ihn für diesen Fehler
Weitere Kostenlose Bücher