Knochenfunde
seine Armbanduhr. »Sie haben also noch fünfundvierzig Minuten Zeit, um dieses köstliche Mahl mit mir zu genießen.« Er deutete auf den gedeckten Tisch. »Ich mag es nicht, hastig zu essen, dann schmeckt es nur halb so gut. Aber diesmal nehme ich es in Kauf.«
»Sie hätten mich wecken sollen.«
»Sie vergeuden wertvolle Zeit. Sie wollen unseren ehrenwerten Senator doch nicht warten lassen.«
Sie folgte ihm ins Esszimmer. »Ich lasse ihn schon seit vier Stunden warten.«
Galen grinste. »Das hat er verdient.« Er schob ihren Stuhl zurecht, schüttelte eine Serviette aus und legte sie auf ihren Schoß.
»Wir fangen an mit dem Spinatsalat.«
»Kommt nicht in Frage.« Sie sprang auf. »Galen, ich möchte auf der Stelle aufbrechen, um Melton zu treffen. Ich könnte sowieso nichts essen. Mein Magen ist immer noch nicht in Ordnung.«
»Ach, was bin ich doch für ein Tölpel. Natürlich können Sie nichts essen. Da hat mich wohl meine Leidenschaft fürs Kochen übermannt. Also gut, vielleicht zaubere ich Ihnen dann ein Süppchen, wenn wir heute Abend von der Kirche zurückkommen.«
»Gut möglich, dass ich heute Abend nicht zurückkomme. Ich arbeite oft die Nacht durch.«
»Man kann nie wissen. Sie sind immer noch ein bisschen blass um die Nase.«
»Galen.«
»Keine Sorge. Ich versuche nicht, Sie herumzukommandieren.
Manchmal nutze ich Situationen aus, um meinen Willen durchzusetzen. Aber ich respektiere Ihre Entscheidung.«
»Kochen Sie wirklich so gern?«
»Essen gehört zu den schönsten Dingen im Leben. Es lässt die größten Widrigkeiten weniger schlimm erscheinen.«
Und Galens Leben war wahrscheinlich schon immer voller Wid rigkeiten gewesen. Eves Blick wanderte von der weißen Damasttischdecke zu den flackernden, lindgrünen Kerzen und dann zu dem feinen Porzellan. Es war ein himmelweiter Unterschied zu dem gemütlichen Abendessen, das sie vor zwei Tagen in der Küche dieses Hauses zu sich genommen hatte.
Und das war wohl seine Absicht gewesen, kam es ihr plötzlich in den Sinn. Er hatte sie nicht an Marie Letaux erinnern wollen und an die letzte Mahlzeit, die ihr in diesem Hause vorgesetzt worden war.
»Ich bin sicher, es wäre ein phantastisches Menü gewesen. Vielen Dank, Galen.«
»Gern geschehen. Nur schade, dass ich noch ein bisschen warten muss, bis Sie meine Kochkunst wirklich schätzen lernen.« Er bot ihr seinen Arm an. »Kommen Sie, gehen wir rüber zur Kirche, damit Sie aufhören können zu quengeln.«
Zu Eves Überraschung wartete Melton bereits ungeduldig vor der Tür, als sie bei der Kirche eintrafen. »Gut, dass Sie ein bisschen früher kommen. Geht es Ihnen besser? Galen meinte, Sie fühlten sich nicht wohl.«
»Es geht mir viel besser.« Sie betrachtete das Kirchenportal. »Ich hatte damit gerechnet, dass Sie mich drinnen erwarten.«
»Ich habe keinen Schlüssel. Ich warte auf – Ah, da ist er ja.« Sein Blick wanderte zu einem aschblonden Mann hinüber, der herbeigeeilt kam. »Das ist Rick Vadim. Ich habe ihn angeheuert, damit er Ihnen zur Hand gehen kann. Rick, das ist Ms Duncan.«
Der junge Mann nickte und lächelte Eve an. »Sehr erfreut, Ma’am.«
»Guten Tag. Freut mich, Sie kennen zu lernen.« Eve schüttelte ihm die Hand. »Das ist Sean Galen, er ist – «
»Ms Duncans Assistent«, sagte Galen. »Ich sorge dafür, dass für sie alles glatt läuft.«
»Dann sind wir ja schon zu zweit«, meinte Rick ernst. »Das ist auch meine Aufgabe.«
»Rick hat den Auftrag, Ms Duncan auf jede mögliche Weise zur Hand zu gehen«, erklärte Melton.
»Sie sind forensischer Anthropologe?«, fragte Eve.
»Nein, ich habe keine wissenschaftliche Ausbildung, aber ich bin gut im Organisieren und Assistieren.« Er schloss die Tür auf.
»Möchten Sie den Schädel sehen?«
»Deswegen bin ich hier.« Eve sah sich in der Eingangshalle um.
Irgendwie hatte sie Staub und Spinnennetze erwartet, aber alles war blitzsauber. »Wo ist er?«
»In der Seitenkapelle.« Rick deutete auf den von einem Bogen überwölbten Durchgang. »Hier entlang, bitte.«
»In der Kapelle?«
»Das erschien uns respektvoller«, meinte Rick. »Nach allem, was ich über Ihre Arbeit gelesen habe, empfinden Sie großen Respekt vor den Verstorbenen.«
»Ja, das stimmt. Aber ich bezweifle, dass ich in einer Kapelle arbeiten kann. Ich benötige sehr viel Licht, einen Arbeitstisch und eine Ablage für meine Arbeitsgeräte.«
»Ich habe Ihren Arbeitsplatz bereits vorbereitet. Ich denke, Sie werden zufrieden
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