Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
oder nicht, hatte al-Kalli nie erfahren. Es könnte auch irgendein Funktionär in untergeordneter Position gewesen sein, der versucht hatte, sich anzubiedern, indem er das tat, was sein Führer sich lediglich wünschte. Wie auch immer, ein Plan wurde in die Tat umgesetzt. In einem der vielen Paläste Saddams wurde ein Fest veranstaltet, und alle al-Kallis waren eingeladen. Mohammed hatte keinen großen Wunsch verspürt, dorthin zu gehen, genauso wenig wie seine Frau, seine Brüder und seine Kinder, doch die Einladung war eher ein Befehl als eine Bitte gewesen. Also hatte Mohammed, um des lieben Friedens willen und mit Blick auf die politische Realität, zugestimmt.
Die Feier fand zu Ehren irgendeines erfundenen Ereignisses in der großartigen und mythischen Geschichte von Saddams Familie statt. Wenn Mohammed sich richtig entsann, hatte Saddam seine Abstammung bis zu Nebukadnezar zurückverfolgt, oder vielleicht war es auch der Prophet höchstpersönlich, und die al-Kallis kamen pflichtschuldig von ihren eigenen diversen Palästen und Besitzungen angereist. Die Feierlichkeit war wie erwartet großzügig arrangiert, und die mehr als eintausend Gäste verteilten sich über ein Dutzend Morgen Land. In einem riesigen, klimatisierten Zelt spielte ein westliches Orchester Beethoven und Wagner, während in einem anderen Musiker aus Nahost und eine Schar Bauchtänzerinnen herrschten, angeblich handverlesen von Saddams Sohn Udai.
Zuerst war alles gutgegangen. Mohammed, der an einer Magen-Darm-Grippe litt, hatte lediglich an etwas Mineralwasser genippt, während seine Familie auf dem Podest für Ehrengäste diniert hatte. Schon früh war Mohammed aufgefallen, dass die Kellner, die an ihrem Tisch bedienten, nicht besonders tüchtig waren. Sie schienen nicht an diese Art von Arbeit gewöhnt zu sein, und in der Tat sahen sie eher aus wie Soldaten. Doch andererseits, dachte er, sah vielleicht Saddams gesamtes Personal so aus.
Erst als seine Frau blass wurde und ihr Suppenlöffel auf den Tisch fiel, begriff Mohammed, was vor sich ging. Sein jüngerer Bruder hatte ebenfalls aufgehört zu essen. Seine Tochter keuchte auf und tastete nach ihrem Wasserglas. Die Kellner standen, die Servietten nachlässig über den Armen, rings um den Tisch am Rand des Zeltes. Mohammed stand auf, und nahm seinen Sohn Mehdi, der neben ihm saß, an die Hand. Zum Glück aß Medhi niemals Suppe. Einer der Kellner stellte sich ihm in den Weg, doch als Mohammed sagte: »Mein Sohn muss sich frisch machen«, trat der Mann zur Seite. Mohammed sah, wie er einen Blick mit einem seiner Vorgesetzten wechselte, zweifelsohne fragte er sich, was er tun sollte. Doch Mohammed schaffte es, langsamen Schrittes, als drückten ihn keine Sorgen der Welt, das Zelt zu verlassen.
Sobald er draußen war, nahm er seinen Sohn, der damals noch ein Kind war, auf die Arme und rannte zur Limousine, die ihn hergebracht hatte. Der Fahrer rauchte eine Zigarette und lungerte im Schatten herum, doch als er sie sah, wusste er instinktiv, was er zu tun hatte. Er sprang in den Wagen, startete den Motor und fuhr bei dem Versuch, wieder in Fahrtrichtung auf die Einfahrt zu gelangen, eine Topfpalme um. Mehrere Leute mussten ihm aus dem Weg springen. Der Wagen kam ruckend zum Stehen, und al-Kalli und sein Sohn warfen sich auf den Rücksitz. Sie knallten die Tür zu, und das Auto brauste in einer Staubwolke davon.
Doch ehe sie das Haupttor erreicht hatten, waren die Wachen benachrichtigt worden. Während die Gäste schrien und in Deckung gingen, eröffneten die Soldaten das Feuer auf den dahinrasenden Wagen. Mohammed duckte sich und bedeckte den Kopf seines Sohnes mit den Händen, als die Fensterscheiben barsten und Glassplitter durch den Wagen schossen. Mit dem Geräusch von Hammerschlägen prallten Kugeln gegen die Türen. Der Fahrer scherte seitlich aus und hielt den Kopf unten. Der Wagen fuhr geradewegs in einen der Wachposten, der über die Motorhaube geschleudert wurde, während seine Maschinenpistole noch immer in die Luft feuerte.
Sobald der Wagen das Tor hinter sich gelassen hatte, setzte sich der Fahrer wieder auf und fragte, was er tun sollte. Mohammed entsann sich, wie dem Mann buchstäblich die Haare zu Berge gestanden hatten. Er befahl ihm, so schnell wie möglich zu seinem eigenen Palast zurückzufahren.
»Was ist … mit den anderen?«, fragte er.
Doch Mohammed wusste, dass nichts sie mehr retten konnte. Was immer Saddam ihnen für ein Gift gegeben hatte, es war ohne Zweifel
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