Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
mit kunstvoll aufgefächertem Schwanz und stolz hochgerecktem Schnabel.
»Oh, wie wundervoll«, warf Mrs Cabot ein. »Hat mir nicht jemand erzählt, der Pfau sei Ihr Familienwappentier?«
»Das ist wahr«, bestätigte al-Kalli, ohne jedoch den Blick von Beth abzuwenden, »wenngleich dies kein Pfau ist.«
Die Flammen, die seine Füße umschlangen, waren Beth bereits ins Auge gefallen. Dies war der mythische Phönix, der Vogel, der niemals starb, sondern stattdessen stets seinen Scheiterhaufen schuf, um anschließend aus der eigenen Asche wiederaufzuerstehen.
»Nach dem zu urteilen, was ich über Ihre Familie gehört habe«, sagte Beth, immer noch ganz überwältigt von der Schönheit des Einbands, »ist der Phönix durchaus angemessen. Soweit ich weiß, überleben die al-Kallis seit mehreren Jahrhunderten, selbst unter den widrigsten Umständen.«
»So ist es«, bestätigte Mohammed, obwohl in seiner Stimme ein überraschender Unterton mitschwang. War es Resignation? »Und dieses Buch hat mit uns zusammen überlebt.« Er räusperte sich und sah Beth direkt an. »Und darum ist es so wichtig, dass das Buch restauriert … und komplett übersetzt wird.«
»Aber bestimmt ist das Buch doch schon zuvor übersetzt worden«, schaltete Mrs Cabot sich ein.
»Gewiss«, sagte al-Kalli, ohne sich jedoch die Mühe zu machen, auch nur in ihre Richtung zu blicken. »Aber die Übersetzungen waren nicht vertrauenswürdig. Das Latein ist schwierig, die Schrift verblasst, und die seltsame Handschrift des Schreibers ist streckenweise nur schwer zu entziffern.«
Beth hatte das Buch immer noch nicht geöffnet, so dass sie keinen Kommentar zu dem Text abgeben konnte, doch sie wollte ihn beruhigen. »Wir arbeiten hier mit den modernsten Computerprogrammen«, erklärte sie. »Wir scannen kleine Textabschnitte ein, gliedern sie auf, extrapolieren anschließend die Informationen und übertragen sie auf den Rest des Buchs. Mit anderen Worten, sobald wir erst einmal wissen, wie dieser Schreiber jeden einzelnen Buchstaben gestaltet hat, ist der Computer in der Lage, alle weiteren Beispiele dieses Buchstabens zu finden, oder des Wortes oder Gestaltungselements, wo und wann immer es auftaucht.«
»Wie lange dauert diese Prozedur?«, fragte al-Kalli mit einem drängenden Unterton, der Beth überraschte. Schließlich war dieses Buch bereits tausend Jahre alt, oder noch älter – warum also jetzt diese Eile?
»Es kommt darauf an«, erklärte sie. »Aber wahrscheinlich könnten wir es in ein paar Wochen schaffen.«
Sie dachte, er würde sich freuen, doch seine Brauen blieben zusammengezogen. »Nicht schneller?«
»Schon möglich«, sagte Beth. Sie ahnte bereits, dass dieses Projekt, so verlockend und spannend es auch war, auch seine politischen Dimensionen hatte. Al-Kalli würde kein einfacher Auftraggeber sein. »Wir müssen bei jedem Schritt mit äußerster Behutsamkeit vorgehen. Allein dieser Einband«, sagte sie und hob den Buchdeckel weniger als einen Zentimeter an, »ist außerordentlich fragil – und selten.«
»Natürlich ist er das«, sagte Mrs Cabot. »Allein diese Intarsien aus wunderschönen Edelsteinen.«
»Nicht nur das«, sagte Beth. »Solche sogenannten Prachteinbände werden fast nie bei den Büchern gefunden, für die sie ursprünglich einmal geschaffen wurden.«
Mrs Cabot sah sie verwirrt an. Die Geheimnisse der Bilderhandschriften waren weder ihre Stärke noch ihr Fachgebiet. Doch Beth vermutete, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, dass al-Kalli eine ganze Menge über Edens wilde Tiere wusste. Und sie hatte das Gefühl, dass er es genoss, ihr zuzuhören, während sie sich über die Einzelheiten ausließ. »Diese Einbände waren so unbezahlbar, dass sie häufig wiederverwendet wurden«, fuhr Beth fort. »Man löste sie von den Holzbrettern, die als Untergrund dienten, und verarbeitete sie bei späteren Büchern oder Codices. Dieser Einband jedoch ist anscheinend nicht nur immer noch mit dem ursprünglichen Holzuntergrund verbunden, sondern auch mit dem Buchblock selbst. Das allein grenzt schon fast schon an ein Wunder.«
Al-Kalli deutete ein Lächeln an. Es gefiel ihm, wenn sein Besitz gepriesen wurde. »Jetzt machen Sie schon, öffnen Sie es«, sagte er mit einer leichten Kinnbewegung, und Beth, die sich vorkam wie ein kleines Kind am Heiligabend, tat wie geheißen.
Obwohl die Jahrhunderte in der Tat ihren Tribut gefordert hatten, war das Buch immer noch prachtvoll. Die Tinte war verblasst, die Farben
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