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Knochenhaus (German Edition)

Knochenhaus (German Edition)

Titel: Knochenhaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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Sünde.»
    «Und dann sind Sie nach Irland zurückgekehrt?»
    «Ich bin nach Hause zurück und ins Kloster gegangen. Was soll man auch sonst tun, wenn man sich einer Todsünde schuldig gemacht hat? Jahre später kam Pater Hennessey in unser Kloster. Er suchte nach Nonnen, die in seinem Kinderheim arbeiten wollten. Und als ich hörte, wo das Kinderheim war, da wusste ich es. Er war mir von Gott gesandt worden. Das war meine Chance, Bernadette wieder nahe zu sein. Nachts habe ich immer mit ihr gesprochen. Ich bin durch den Garten gegangen und habe mit ihr geredet. Das waren die glücklichsten Jahre meines Lebens.»
    «Wusste Pater Hennessey davon?»
    «O nein. Aber er hat etwas geahnt. Natürlich wusste er nichts von Bernadette, doch ihm war klar, dass ich ein Geheimnis habe. Er wollte mich immer dazu bewegen, ihm davon zu erzählen. Die Wahrheit wird dich befreien, hat er zu mir gesagt. Befreien! Pah! Ich werde niemals frei sein.»
    Und mit diesen letzten Worten sackt ihr das Kinn auf die Brust.
    «Schwester Immaculata?» Judy beugt sich über die zusammengesunkene Gestalt. Sie atmet noch, heftige, unregelmäßige Atemzüge, doch ihre Augen sind geschlossen.
    Gleich darauf steht die Oberschwester im Zimmer.
    «Sie sollten jetzt besser gehen», sagt sie zu Judy.

    Draußen auf der Strandpromenade saugt Judy gierig die salzige Luft ein. Ihr ist, als könnte sie die Schmerzen der Nonne, die mühsam nach Atem ringt, in der eigenen Lunge spüren. Sie schüttelt heftig den Kopf, um das Bild des Kindes wieder loszuwerden: das blutdurchtränkte Bettchen, die verängstigte Mutter, der rasende Vater, in dessen Hand das Messer blitzt …
    Sie zwingt sich dazu, ihre Gedanken zu ordnen und den Horrorfilm, der ihr in einer Endlosschleife durch den Kopf läuft, wieder abzustellen (selbst den Geruch des Hauses glaubt sie wahrzunehmen: den Lavendelduft des Bohnerwachses, den Duft der Lilien und darunter den säuerlichen Geruch von Blut). Immerhin ist sie Polizistin und hat eine Aufgabe zu erfüllen. Sie sucht Schutz auf der Veranda eines schaurig neogotischen Hotels und ruft Nelson an. Es hat angefangen zu regnen, und ein beißender Wind fegt vom Meer her über die verlassene Promenade. Typisches englisches Sommerwetter.
    Er meldet sich gleich nach dem ersten Klingeln, und Judy erzählt ihm die ganze Geschichte, so nüchtern, wie es eben geht.
    «Großer Gott.» Sie hört Nelson am anderen Ende der Leitung Luft holen und weiß, dass die Geschichte auch ihn nicht kaltlässt. Was er natürlich niemals zeigen würde.
    «Christopher Spens hat also das Kindermädchen geschwängert und das Kind dann als Opfer an die Götter getötet?»
    «So hat sie es mir erzählt, Sir.»
    «Und Sie glauben ihr?»
    «Ja.»
    Nach kurzem Schweigen sagt Nelson langsam: «Das würde auch erklären, warum die Leiche unter der Türschwelle Genmaterial mit Roderick Spens teilt. Sie hatten tatsächlich einen gemeinsamen männlichen Verwandten – denselben Vater nämlich. Christopher Spens.»
    «Soll ich zurückkommen, Sir?»
    «Nein. Bleiben Sie mal, wo Sie sind. Ich komme morgen runter, dann nehmen wir eine offizielle Aussage auf. Sie ist krank, sagten Sie?»
    «Sie hat nicht mehr lange zu leben.»
    «Dann sollten wir uns lieber beeilen», meint Nelson kaltschnäuzig. «Und Sie dürfen noch eine Nacht in Southport bleiben. Machen Sie sich’s nett.»
    Das, denkt Judy, während sie im Regen die Strandpromenade entlanggeht, dürfte gar nicht so einfach sein.

    Nelson legt das Telefon beiseite. Judys Geschichte ist nahezu unglaublich, und trotzdem glaubt er ihr. Gleich als er die kleine Leiche gesehen hat, die so sorgfältig arrangiert zwischen Steinen und Bauschutt lag, hat er gewusst, dass da etwas wahrhaft Böses am Werk gewesen sein muss. Ob es nun Elizabeth Black ist, Annabelle Spens oder Bernadette McKinley: Dem kleinen Mädchen war etwas Fürchterliches zugestoßen, und die Erinnerung an die Tat ging in dem Haus noch immer um, sie hing in der Atmosphäre rund um die Schaukel und den Wunschbrunnen, klebte in den Tapetenresten, war den schwarz-weißen Bodenfliesen eingeprägt. Alles, was von dem alten Haus noch übrig war, ist inzwischen dem Erdboden gleichgemacht, doch eines weiß Nelson ganz genau: Er würde nie im Leben in eins von Edward Spens’ Luxusapartments einziehen, nicht um alles Geld der Welt.
    Als das Telefon wieder klingelt, zuckt er zusammen. Die Stimme am anderen Ende klingt leicht ungeduldig und gehört dem Ton nach einer gebildeten und

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