Knochenhaus (German Edition)
erfüllt ihren Zweck.»
«Sie sollten ihn noch einmal anrufen.» Die Polizei kann doch sicher auch eine SMS zurückverfolgen, oder nicht?
«O nein. Sie werden ihn anrufen.»
Mit einer erschreckend raschen Bewegung ist er neben ihr und hält ihr mit einer Hand ein Handy ans Ohr und mit der anderen das Messer an die Kehle.
Nelson bricht auf, sobald Clough eingetroffen ist, um auf die Mädchen aufzupassen. «Keine Panik auf der Titanic», begrüßt Clough die beiden, dann macht er es sich neben ihnen auf dem Sofa bequem, um sich anzuschauen, wie die amerikanischen Highschool-Kids gegen die Untoten kämpfen.
«Toller Wachmann», knurrt Nelson.
«Sie können sich auf mich verlassen, Boss.»
Nelson hat bereits auf sechzig Stundenkilometer beschleunigt, bevor er ganz aus seiner Stichstraße hinaus ist, doch Cathbad neben ihm bleibt ruhig und gelassen. Er ist der einzige Mensch in Nelsons Umfeld, der sich von seinem Fahrstil nicht weiter beeindrucken lässt.
Es ist kurz vor sechs, beste Stoßverkehrszeit. Alle Straßen sind verstopft. Als sie den Stadtrand von Norwich erreicht haben, schaltet Nelson sein Martinshorn ein, und sie wechseln wild zwischen den Spuren hin und her, drängen andere Fahrer auf den Seitenstreifen ab und lassen Baustellenabsperrungen wie Kegel durch die Luft sausen.
Cathbad summt ein keltisches Volkslied vor sich hin.
Kurz vor Reedham versperrt ein Unfall die Fahrbahn, der Verkehr steht in beiden Richtungen. Nelson schlägt mit beiden Händen auf das Lenkrad.
«Schau auf die Karte», befiehlt er Cathbad. «Such uns eine Abkürzung.»
Cathbad deutet auf einen unbefestigten Pfad links von ihnen. Dort stapeln sich alte Autoreifen neben einem kaputten Tor, und es sieht aus, als könnte dieser Weg unmöglich irgendwohin führen.
«Versuch’s mal damit.»
«Wieso?»
«Ich habe ein gutes Gefühl.»
Nelson biegt scharf nach links ab. Der Mercedes holpert über ausgefahrene Traktorspuren hinweg und versinkt gelegentlich fast in breiten, schlammigen Pfützen.
«Wenn meine Federung anschließend im Eimer ist, bist du schuld.»
Cathbad summt ungerührt weiter.
Die Piste führt sie an verlassenen Scheunen, verbeulten alten Autos und völlig unerwartet auch an einem eleganten Bungalow vorbei, der Fremdenzimmer anbietet. Dann brettert Nelson zwischen tiefhängenden Zweigen und dichten Hecken hindurch und muss scharf auf die Bremse treten, weil er mit den Vorderrädern schon fast im Fluss hängt. Fuchsteufelswild will er auf Cathbad losgehen.
«Das ist eine Sackgasse! Du …»
Doch Cathbad deutet nur zwischen den Bäumen hindurch, hinter denen gerade noch ein Kirchturm zu sehen ist.
«Reedham», sagt er unbekümmert.
«Wie hast du denn …»
«Das ist der Flow», sagt Cathbad. «Man muss sich einfach dem Flow überlassen.»
Doch Nelson stapft bereits am Flussufer entlang davon.
Am Jachthafen feiern die Bootsbesitzer gerade eine Party. Der Wein fließt in Strömen, Würstchen brutzeln auf dem Grill. Von einem der Boote, einer niedrigen Motorjacht mit dem schönen Namen Dreadlock 2 , schallt Reggaemusik herüber. Nelson hält dem dicken Mann, der den Grill beaufsichtigt, seine Polizeimarke unter die Nase.
«Ich suche ein Boot namens Lady Annabelle .»
Der Mann mustert ihn verständnislos, und hinter ihm hört man hastig unterdrücktes Kichern.
«Ich kenn die Lady Annabelle », lässt sich eine Stimme von der Reggae-Jacht vernehmen. Ein großer Mann mit Dreadlocks bis zur Taille grinst zu ihnen herauf. «Die gehört doch diesem Prof, oder?»
«Wissen Sie, wo sie parkt … äh … liegt?», fragt Nelson ungeduldig.
«Klar.» Der Kerl klingt, als hätte er alle Zeit der Welt. Nelson knirscht bereits innerlich mit den Zähnen, doch Cathbad wirkt sehr angetan. «Ganz hinten an der Anlegestelle. Links runter.» Er deutet vage in die Richtung. «Sie können’s gar nicht verfehlen. Das letzte Boot.»
«Peace», ruft Cathbad ihm über die Schulter zu, als er mit Nelson auf das hölzerne Tor zugeht.
«Guidance», ruft der Rasta-Mann zurück.
Doch am Ende der Anlegestelle finden sie nur ein durchtrenntes Seil. Die Lady Annabelle ist verschwunden. Vom Jachthafen her hören sie Bob Marley etwas von Erlösung singen. Vor ihnen fließt der Fluss dahin, geheimnisvoll im abendlichen Licht, und gabelt sich in seine zwei Richtungen. Mücken schwirren um sie herum.
«Und was jetzt?», fragt Nelson.
«Vertrauen wir einfach weiter dem Flow», schlägt Cathbad vor.
Zum Glück für Cathbads
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