Knochenhaus (German Edition)
Vater also nicht?» Clough klingt enttäuscht.
«Nein.»
«Das habe ich auch nie geglaubt», wirft Judy ein.
«Na, du gehörst ja auch zu denen.»
«Zu wem?»
«Zu den Katholiken.»
«Die sind überall, Cloughie», sagt Nelson, «nur eben nicht bei den Freimaurern. Also, auf geht’s, wir haben eine Menge Arbeit vor uns.»
Auch Ruth ist in zuversichtlicher Stimmung, als sie aufwacht. Es ist Samstag, sie kann also noch ein Weilchen im Bett bleiben. Durch die Vorhänge fällt Sonnenlicht auf das Fußende des Bettes, wo Flint lang ausgestreckt, mit zuckenden Krallen, schläft. Ruth streckt sich ebenfalls und streichelt den Kater mit den Zehen. Das war ein guter Abend gestern. Das Essen auf dem Boot, bei dem sie endlich die Sache mit der Schwangerschaft losgeworden ist, der Durchbruch bei den Ermittlungen. Im Grunde war es sogar ein perfekter Abend. Nachdem Debbie angerufen und Ruth mit Nelson telefoniert hatte, haben Max und sie noch eine Zeitlang geplaudert, dann hat er sie zu ihrem Wagen zurückgefahren. Vor dem Pub saßen immer noch Gäste vor ihren Getränken, der Mond stand hoch über den Baumwipfeln. Max hat sie auf die Wange geküsst und sie ermahnt, vorsichtig zu fahren. «Bis bald», hat Ruth zum Abschied gesagt, und er hat erwidert: «Das will ich doch hoffen.»
Es lag etwas in seiner Stimme und in dem Kuss, das Ruths Herz ein wenig schneller schlagen lässt, als sie jetzt wieder daran denkt. Natürlich kann er unmöglich in sie verliebt sein, vor allem jetzt nicht mehr, wo er weiß, dass sie schwanger ist, und trotzdem ist da etwas, eine leise Andeutung, dass sie vielleicht doch mehr sein könnten als bloß Freunde. Ist sie denn in ihn verliebt? Ein bisschen schon, wenn sie ehrlich ist. Er ist genau ihr Typ, groß, dunkelhaarig, intelligent und eher zurückhaltend. Doch all die üblichen, von den Frauenzeitschriften beschworenen Gefühle gehen in dem Bewusstsein unter, dass sie ein Kind erwartet. Für andere Gedanken ist da kaum noch Platz. Selbst jetzt, wo sie faul und gemütlich im warmen Bett liegt, denkt sie an das Wesen in ihrem Bauch. Sie bildet sich sogar ein zu spüren, wie es sich bewegt, obwohl man ihr im Krankenhaus gesagt hat, dafür sei es noch viel zu früh. Doch irgendetwas spürt sie. Eine Schwere, eine Präsenz, das Gefühl, dass da etwas Platz beansprucht. Sie hat sogar schon einen Namen für den Kleinen. Seit kurzem nennt sie ihn Toby. Sie weiß selbst nicht, warum, eigentlich mag sie den Namen nicht einmal besonders; doch irgendwie hat sie den Eindruck, dass dieses Baby Toby heißt.
Verflixt, jetzt muss sie schon wieder aufs Klo. Und wenn sie schon auf ist, kann sie sich auch gleich einen Tee machen. Unten breitet sich der morgendliche Blick auf das Salzmoor vor ihr aus, spektakulär wie immer. Möwen kreisen am hellblauen Himmel. Im Radio laufen nur die Nachrichten, doch bald beginnt die wunderbare Stunde zwischen neun und zehn: Geschichten zum Wohlfühlen, Liederwünsche, absonderliche Informationen über Menschen, die Streichholzschachteln sammeln oder unwissentlich einen Blutsverwandten geheiratet haben. Himmlisch.
Ruth geht mit ihrem Tee zurück nach oben. Sie wird im Bett Radio hören und dann langsam anfangen, ernsthaft übers Aufstehen nachzudenken. Vielleicht geht sie später sogar schwimmen oder unternimmt sonst etwas Gesundes. Das wäre sicher gut für Toby. Sie summt unmelodisch vor sich hin und steigt wieder ins Bett.
In der inzwischen etwas volleren Einsatzzentrale mustert Nelson seine Leute. «Also dann», sagt er energisch, «die Beweislage muss zwar noch genau geprüft werden, aber es sieht ganz danach aus, als müssten wir den Zeitrahmen für das Verbrechen früher ansetzen. Elizabeth Black ist 1968 zur Welt gekommen. Wenn die Aussagen der Expertin zutreffen, kann der Schädel unmöglich von ihr sein.»
«Sind wir denn sicher, dass Schädel und Körper zum selben Kind gehören, Sir?» Nelson wendet den Kopf, um zu sehen, von wem diese ausgezeichnete Frage kam. Von Tanya Fuller, einer neuen jungen Mitarbeiterin.
«Sehr gute Frage, Tanya. Ja, das hat die DNA-Analyse bestätigt. Wir müssen uns also darauf konzentrieren, was früher in dem Haus los war. Cloughie, was sagen die Grundbuchauszüge?»
Clough, der noch damit beschäftigt war, Tanya böse anzufunkeln, springt auf und blättert wichtigtuerisch in seinen Unterlagen.
«Vor 1960 war das Haus im Besitz von … Ach du Schande!»
Nach dem Frühstück überlegt sich Ruth, was sie mit dem Tag anfangen
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