Knochensplitter
im Lautsprecher. Eine Frau schrie: »Tut meinem Baby nicht weh!«, und die Kamera schwenkte herum, um Alison McGregor zu zeigen, wie sie mit den Fingernägeln über die blanken Bodendielen schrammte in dem verzweifelten Versuch, sich von dem Heizkörper loszureißen, an dem sie festgekettet war. Ihr Haar war wirr, ihr Gesicht rot angelaufen, Tränen strömten ihr über die Wangen. Dann war plötzlich der Ton weg, und sie sahen nur noch Alisons stumme Schreie.
Jenny kam wieder ins Bild.
» WENN SIE SIE IM STICH LASSEN, WIRD SIE STERBEN. DANN STARTEN WIR DIE GANZE AKTION NOCH EINMAL VON VORNE – MIT IHRER MUTTER .«
Die weiß gekleidete Gestalt griff dem kleinen Mädchen in die Haare und zog ihren Kopf hoch. Dann hielt er ihr das Messer an die Kehle.
Die Kamera zoomte heran: Jennys gerötete, glänzende Nase, ihre zitternde Unterlippe. Ihre Augen zuckten nach rechts oben, wahrscheinlich zu dem Typen mit dem Messer, und sie nickte. Nur ganz leicht, aber es reichte, um die Klinge einen Millimeter in ihre Haut hineinzudrücken. Sie starrte direkt in die Kamera, und dicke Tränen schimmerten in ihren Augenwinkeln.
Ihre Stimme kam aus den Lautsprechern des Laptops, verzagt und zittrig. »Ich will nicht … Ich will nicht … sterben …«
»SIE HABEN ZEIT BIS MITTERNACHT .«
Der Bildschirm wurde dunkel, und dann erschien die kleine Auflistung von YouTube-Filmchen nach dem Motto: »Wenn dir das gefallen hat, wirst du die hier auch mögen«, und dazu die Option, das Video erneut abzuspielen.
»Licht an.« DCI Finnie zielte mit der Fernbedienung auf den Projektor, der an der Decke des Besprechungsraums montiert war, und hielt den Film an der Stelle an, wo der Mann im Tatort-Schutzanzug Jenny das Messer an die Kehle drückte.
Jemand betätigte den Schalter, und kaltes Neonlicht füllte den Saal. Die Zuschauer reckten sich und blinzelten. Es war ein sehr viel exklusiverer Kreis als zuvor – nur die Oberchefs und die leitenden Ermittler des CID .
Finnie legte die Fernbedienung neben sich auf dem Pult ab. »Wenigstens haben wir jetzt einen Zeitrahmen: Mitternacht.«
Polizeipräsident Anderson fluchte. Die polierten Silberknöpfe seiner Ausgehuniform funkelten, und seine Glatze glänzte im Neonlicht, als er sich vorbeugte. »Wie viel ist momentan im Topf?«
»Ähm …« Interims- DI Mark MacDonald wühlte in einem kleinen Papierstapel. »Es sind um die –«
»Sechs Komma drei Millionen.« Superintendent Green räkelte sich auf seinem Stuhl und starrte zur Leinwand hinauf. »Konservativen Schätzungen zufolge wird die Gesamtsumme um Mitternacht bei circa sieben Millionen liegen.«
»Gütiger Himmel.« Der Polizeipräsident schüttelte den Kopf. »Haben wir irgendeine Vorstellung, wie die Täter an das Geld heranzukommen gedenken?«
»Es muss über eine Online-Überweisung laufen.« Green tippte mit dem Kuli auf seinen Handteller. »Sie können es nicht in bar verlangen – so viel könnten wir bis Mitternacht gar nicht beschaffen, und dann müssten sie das Geld auch noch waschen. Ganz zu schweigen von dem Risiko, das sie bei der Übergabe eingehen würden.«
»Verstehe. Und was ist mit diesem Frank Baker?«
DI Steel musterte Green mit zusammengekniffenen Augen. »Er wurde angeblich schon an allen möglichen Orten zwischen Nairn und Portsmouth gesichtet. Sämtliche Lokalzeitungen im Land drucken sein Foto ab, und auch die meisten überregionalen. Fahndungsplakate hängen an allen Fährhäfen, Busbahnhöfen und Flughäfen.«
Green nickte. »Mir war mir sofort klar, dass er in die Sache verwickelt ist, nachdem ich mit ihm gesprochen hatte.«
»Ach ja? Und Sie sind nicht auf die Idee gekommen, uns zu informieren, sodass wir ihn hätten im Auge behalten können, anstattihn mit Ihren Drohungen zu verschrecken?«
»Sie können von mir nicht erwarten, dass ich etwas tue, was eigentlich Ihr Job ist, Inspector.«
Es folgten fünf Minuten Gezanke, Klagen und gegenseitige Schuldzuweisungen.
Logan starrte auf die Leinwand. Der Typ mit dem Messer trug ein Namensschild, wie sie bei Konferenzen verwendet wurden, genau wie die beiden in dem Entführungsvideo. Es war schwer zu entziffern, aber es sah aus wie »Sylv–« irgendwas. Sylvia? Sylvester?
Logan schrieb die Namen auf seinen Notizblock und probierte verschiedene Kombinationen aus. Sylvia, David und Tom. Sylvester, Tom und David.
Es machte eigentlich keinen Unterschied – es waren ja ohnehin Tarnnamen. Niemand machte sich die Mühe, Tatorte und Erpresserbriefe
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