Knochensplitter

das kleine Plastikding, das neben dem Nachtlicht in der Wand steckt, kann den Altmännergeruch des blauen Teddybären immer noch nicht ganz überdecken. Das Fenster schimmert blassorange und lässt dichte Schatten zwischen dem Stuhl und der Wand wuchern, hinter dem Spielzeugschrank und an der Seitenwand ihres Kleiderschranks. Unter dem Bett kriechen sie hervor …
    Sie versucht, ganz still und reglos dazuliegen, als wäre sie tot.
    Sie ist nicht wach. Sie schläft, wie ein braves kleines Mädchen.
    Nur böse kleine Mädchen wachen mitten in der Nacht auf.
    Das ist die Zeit, wo das Monster rauskommt.
    Sie erschaudert, obwohl sie weiß, dass sie sich nicht bewegen darf. Nicht mal ein klitzekleines bisschen.
    Das Monster kann böse kleine Mädchen nicht leiden.
    Das Monster mit seinen scharfen weißen Zähnen und den knallroten Krallen.
    Lieg still. Rühr dich keinen Millimeter.
    Sie kann es hören, draußen auf dem Flur. Da schleicht es auf seinen weichen pelzigen Pfoten, und die Dielen knarren unter seinen Schritten. Krrk, krrk.
    Sie hält die Luft an.
    Geh weg. Hier drin ist niemand wach. Hier gibt’s nur brave kleine Mädchen, die fest schlafen und von Ponys träumen.
    Bitte , geh weg …
    Aber das Monster weiß Bescheid.
    Ein Klirren. Ein Klacken. Und dann ächzt die Tür wie ein alter Mann.
    Pause.
    Sie hält die Luft an.
    Geh weg. Geh weg. GEH WEG !
    Braves kleines Mädchen. Schlaf, schlaf.
    Das Monster raschelt, direkt neben ihrem Bett. Sie hört es atmen.
    Pfffffhhh … Zschhhhhhhhh . Pfffffhhh … Zschhhhhhhhh .
    Es steht direkt vor ihr. Im Dunkeln.
    Nicht bewegen …
    Aber ihr Brustkorb tut weh, wie ein einziger großer blauer Fleck. Und dann verrät ihr Körper sie und schnappt gierig nach Luft. Und jetzt ist es zu spät … es weiß, dass sie wach ist. Sie reißt die Augen auf …
    Licht fällt durch die offene Tür herein. Teddy Gordon hockt grinsend am Fußende des Betts.
    Aber das Monster ist anders. Sein Gesicht ist ganz glänzend, wie Wachs, und es ist nackt – seine weiße, runzlige Haut knistert, wenn es atmet. Pfffffhhh … Zschhhhhhhhh. Pfffffhhh … Zschhhhhhhhh. Ein Auge glimmt rot in der Dunkelheit.
    Papi …
    Nein …
    Lass uns nicht allein …
    Das Monster greift nach ihr, mit klebrigen lila Fingern.
    Sie schreit.

12
    Logan nahm noch einen Schluck Kaffee und klickte mit der Maus auf das kleine rote »Replay«-Symbol. Es war einen Moment dunkel, dann startete das Video noch einmal von vorn. Das vierte Mal hintereinander. Die Anzeige darunter registrierte 6 376 451 Aufrufe, seit die Lösegeldforderung vor acht Tagen hochgeladen worden war.
    Die Qualität war nicht berauschend. Besser als vieles, was auf YouTube gepostet wurde, aber nichtsdestotrotz ziemlich verwackelt und grobkörnig. Das Licht war schlecht, und die Einstellung am Camcorder, die sie benutzt hatten, um mitten in der Nacht filmen zu können, ließ alle Farben verblassen. Und da war es – das bekannteste Haus im ganzen Land. Oder jedenfalls die Rückseite davon.
    Ein schlichter, zweistöckiger Backsteinkasten, genau wie all die anderen schlichten, zweistöckigen Backsteinkästen in der Straße, mit einem mannshohen Holzzaun, der hinter den Gärten entlanglief.
    Logan rückte den Kopfhörer wieder zurecht und drehte die Lautstärke voll auf, doch da war nichts zu hören. Nicht einmal ein Zischen. Vollkommene Stille. Zumindest an dieser Stelle …
    »03:05:26«, blinkte die Anzeige in der unteren linken Ecke des Bildschirms.
    Die Kamera schwenkte nach links, dann nach rechts – der schmale Fußpfad war leer –, und dann kam ein schwerer Bolzenschneider ins Bild. Die Zange zermalmte den Bügel eines massiven Vorhängeschlosses, worauf eine blassgraue Hand erschien und das Tor aufstieß.
    Das Bild wackelte, als der Kameramann den Gartenweg entlang zur Hintertür lief.
    Jemand trat vor die Kamera, und einen Moment lang füllte eine grauweiße Fläche den Bildschirm aus – dann waren sie drin.
    Laut dem Zeitstempel am unteren Bildrand waren noch keine zwei Minuten vergangen.
    Die Küche: altmodische Schränke, der Kühlschrank mit Zeitungsausschnitten und Kinderzeichnungen bedeckt.
    Dann der Flur: Blümchentapete, ein paar 08/15-Bilder in billig aussehenden Rahmen.
    Auf halber Treppe ein Foto – Logan konnte nicht erkennen, was es zeigte.
    Dann der obere Treppenabsatz, von dem drei Türen abgingen.
    Mit einem weiteren Mausklick maximierte er das Fenster, sodass das Video den ganzen Bildschirm ausfüllte.
    Die Kamera hielt direkt