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Knockemstiff (German Edition)

Knockemstiff (German Edition)

Titel: Knockemstiff (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Ray Pollock
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Klemmbrett. »Sechshundert, um genau zu sein. Hat er Medikamente genommen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, er war stark wie ein Pferd. Scheiße, Sie haben ihn doch gesehen.«
    »Nun, vielleicht von außen betrachtet«, erwiderte der Arzt und starrte mich an. »Also gut, ich möchte Sie etwas fragen, hat er Steroide genommen? Wir kriegen morgen den Bericht von der Toxikologie, aber wissen Sie etwas darüber?«
    »Das ist doch Blödsinn«, sagte ich. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Nun, mal abgesehen von den Nadeleinstichen am Bein, hat er …«
    »Hauen Sie ab«, sagte ich und schnappte mir meinen Mantel. Dann rief ich mir ein Taxi, fuhr zurück ins Studio und machte Kreuzheben, bis ich ohnmächtig wurde. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich zusammengerollt auf der Übungsmatte und hatte mir in die Hose geschissen.
    Nach jener Nacht kam niemand mehr in mein Studio, nicht mal Little Ralph, aber bei Sammys Beerdigung war die halbe Stadt. Ich begrub meinen Jungen, kehrte zur Routine zurück, putzte jeden Tag die ganze Ausrüstung, wischte den Boden, machte meine Übungen. Aber ich verlor das Ziel aus den Augen. Eines Morgens wachte ich kopfüber am Power Rack hängend auf wie eine Fledermaus, alle Spiegel waren mit alten Zeitungen bedeckt. Ein paar Nächte später verschlang ich zwei Kartons Schokoriegel, die ich unter Sammys Koje gefunden hatte, dann drehte ich den Spieß um und nahm eine Überdosis Abführmittel. Am folgenden Tag heftete ich ein GESCHLOSSEN -Schild an die Tür und verstreute eine Schachtel Nägel auf dem Parkplatz.
    Ein paar Wochen später, an einem Sonntagnachmittag Anfang Februar, war im Radio von einer heranziehenden Kaltfront die Rede, alle wurden ermahnt, zu Hause zu bleiben. Ich hörte, wie Rekordminustemperaturen angesagt wurden, und mein Kopf wurde so klar wie ein Gefrierbeutel. Ich zog ein altes Sweatshirt an und schluckte ein paar Aspirin. Dann stopfte ich einige von Sammys Megadeth-CDs in die Anlage, drehte sie auf und machte eine Übung nach der anderen. Ich stemmte acht Stunden lang Gewichte, ein persönlicher Rekord. Gegen zwei Uhr früh duschte ich heiß und schmierte mich ein.
    Die Stadt war tot, als ich auf den McDonald’s-Parkplatz fuhr. Bierdosen und Hamburgerpapier waren auf dem Boden festgefroren. Auf der Tafel an der Bank stand -17°C. Kleine Eisperlen fielen vom Himmel, und in den dunklen Fenstern von Millers Laden blinkten noch immer Weihnachtslichter. Ich stieg aus dem Wagen und zog mich nackt aus. Dann ging ich zu der Stelle auf dem Gehweg, an der Sammy umgefallen war.
    Ich fing mit ein paar Grundübungen an, schön langsam, zum Warmwerden. Dann machte ich neue Sachen, an denen ich seit Jahren arbeitete und die ich Sammy hatte zeigen wollen, wenn er gut genug gewesen wäre. Der Wind fuhr mir über den nackten Leib wie ein Fleischmesser. Ich sah zur Bankanzeigetafel hinüber, atmete weiter die eisige Luft ein und flehte darum, genug Disziplin aufzubringen, um jede Pose perfekt auszuführen. Die Temperatur fiel schließlich auf -38°C. Meine Muskeln schabten in der eisigen Stille aneinander wie Eisschollen.
    Als der Morgen anbrach, hob ich meine gefrorenen Arme zu einem letzten Versuch, und ein lauter Schuss erschütterte das ganze Tal. Ein weißes Licht explodierte in meinem Kopf, und mein Körper zersprang in tausend winzige Stücke. Dann wehte ich als schmutzige Schneeflocken die graue, leere Straße entlang.

ANGREIFER
    Als Del aus dem Blackout erwachte, stand er in Unterwäsche vor dem verblichenen rosafarbenen Zweifamilienhaus, das Geraldine und er gemietet hatten, und pinkelte ins verdorrte Augustgras. Das war das Schlimme daran, wieder zu sich zu kommen: Gerade war man noch wie ein hirnloser Karpfen, der fröhlich den Schlamm am Grund des Bottom Creek fraß, und dann,
popp
, ein Lichtblitz, und man zappelte wieder auf trockenem Land herum, mitten in der nächsten scheißpeinlichen Situation. So schien es in letzter Zeit jedes Mal zu laufen, wenn er high war. »Himmel«, murmelte er leise. »Na, wenigstens nicht der verdammte Besenschrank.« Beim letzten Mal hatte er sich nachts in der Besteckschublade ausgetobt, nachdem er sich auf Geraldines Geburtstagsparty zugedröhnt hatte. Seitdem gab es nur noch Plastikgabeln.
    Erst als Del aufblickte und in die Augen der beiden schockierten alten Frauen sah, die auf dem Gehweg standen und ihn anstarrten, bemerkte er, dass es noch hell war. Sie standen keinen Steinwurf entfernt. Eine von ihnen, groß und schlank

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