KNOI (German Edition)
Mobiltelefon, man musste es orten. Nein, musste man nicht. Jakob saß in der Garderobe. Sie hatte ihn zum Bleiben gezwungen. Er musste mit jemandem sprechen. Aber nicht mit Rita oder Lutz. Wahrscheinlich müsste er nach Rohrbach fahren. Wollte er sie finden? Er müsste mit Australien telefonieren. Aber Jennifer und Conny hatten seit Jahren kein Wort miteinander gewechselt. Er müsste. Er müsste. Er müsste. In seiner Tasche surrte es.
Jakob. Alles gehört dir. Dort wo ich hingehe, brauche ich nichts. Das ist meine letzte Nachricht. Diese Nummer gibt es nicht mehr. Bitte melde sie ab
.
Entsorgen! Im Entsorgen war Jakob schon immer schlecht gewesen.
Er musste jemanden anrufen. Konnte ihre Nachrichten nicht einfach so stehenlassen. Er musste mit dem Satelliten Kontakt aufnehmen. Konrad. Konrad würde ihm Anweisungen geben. Freizeichen. Ausländisches Surren. Konrad stand an Deck der
Nauru II
. Der Ozeanwind blies in den Hörer. Jakob konnte ihn kaum verstehen.
nur suchen
was finden
wen
wieder in den Käfig
Chance
Mittäter werden
Wind
Dann riss die Verbindung ab.
Konrad legte auf, obwohl er in dem Moment nicht das Gefühl hatte, jemals abgehoben zu haben. Er hatte auch nicht mehr gesagt, als Jakob am anderen Ende der Welt verstanden hatte. Die Aussetzer fanden bereits in seinem Kopf statt. Das Rauschen war in den letzten Wochen lauter geworden. Hatte ihn aufs offene Meer gezogen, und mitten in diesem milchigen Orkan hatte sich die Gewissheit manifestiert, dass diese Reise, von der es absolut nichts zu erzählen gab, am nächsten Ufer ihr Ende finden würde, dass sie nicht durch seinen Tod, der vermutlich in einem Hotelzimmer stattfinden würde, abgebrochen werden würde. Das hatte er immer gewusst, aber dass es ihn ausgerechnet auf dieser verlorenen Insel ereilen würde, damit war nicht zu rechnen gewesen, wobei sich Konrad nicht erwehren konnte, darin einen anwesenden Erzähler aufspüren zu wollen. Kein Platz der Welt wäre passender als Nauru gewesen, vor allem in Anbetracht der Geschichte dieser Insel, die schon aufgrund ihrer Winzigkeit wie eine Metapher wirkte. Passend, das war vermutlich das, worum es einem Erzähler gegangen wäre. Konrad hatte gelernt, die Zeichen zu lesen. Er hatte sie ausfindig gemacht, die angelehnten Türen, die sich geräuschlos öffnen ließen. Immer näher war er dem Kern der Geschichte gekommen, und jetzt fehlte nur noch diese eine Tür, hinter der das Rauschen bereits lauter war als die eigenen Gedanken.
ACHT
Jakob raste in die alten Bilder. In den ersten Geburtstag nach dem Unfall, die Torte, die er mit einer Havarie aus Marzipan verzierte, ihr Lächeln, als er sie in den neuen Rollstuhl hob, ihre lautes Lachen, wenn sie Beach Boys hörte, ihre steifen Brustwarzen, wenn er den heißen Kaffee gegen ihre Beine hielt, ihre trockenen Haare, die schwitzten, wenn sie im Liegestuhl einschlief, ihre kindliche Freude, wenn jemand einen Joint baute, ihr völlig übertriebenes Gehabe, wenn es darum ging, den richtigen Taxifahrer auszusuchen, ihr Juchzen, wenn man Champagner reichte, ihr Getöse, wenn man sie nicht ernst nahm, ihre warme Hand, die mit seinen Ohrläppchen spielte. Er wollte nicht zählen, in wie vielen Blechgehäusen sie auf den Rettungswagen gewartet hatte. Wie vertraut ihr der Moment war, bis mit dem Auslöffeln begonnen wurde, während ein lebloser Körper neben ihr verendete. Keinem Fuchs, keinem Reh, keinem Igel wich er aus. Jakob raste durch ihre erschrockenen Blicke, als würde sein Fernlicht die Fahrbahn in zwei Hälften schneiden. Er raste auf Rohrbach zu, direkt in das verstaubte Wohnzimmer mit den Stickbildern, den Einbaukästen, den falschen Blumen, dem beigen Spannteppich und dem wässrigen Filterkaffee.
- Hier ist deine Mutter. Ich weiß nicht, wo du bist. Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz schon auf deine Mobilbox gesprochen habe. Ich sitze hier, mitten in der Nacht, wie immer allein, immer allein, aber mit irgendjemandem muss ich darüber sprechen. Ich habe sie gesehen, ich habe heute Nacht jemanden vor den Zelten stehen gesehen. Ich war nicht im Wald. Ich habe geträumt, die Dinge vermischen sich, wenn man nur noch in der Nacht lebt. Ich habe Conny gesehen. Sie hat eine Zigarette geraucht. Ich weiß, du hältst mich für verrückt, weil du mir glauben musst, weil du selbst nicht bis zur Lichtung kommst, aber heute Nacht würde ich dich dorthin tragen, damit du es mit eigenen Augen sehen kannst, ich wünschte, jemand würde mich hinbegleiten,
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