KNOI (German Edition)
Lutz danach, und Jakob fragte, ob er mit ihm noch essen gehe, er müsse mit ihm sprechen, und Lutz, der Jakobs Ignoranz ignorierte, bejahte und sagte, nächste Woche komme die andere Seite dran, zu schnell bejahte, um damit nicht zu offenbaren, dass ihn Rita bereits eingeweiht hatte. Wahrscheinlich, um davon abzulenken, dass es eigentlich ihre Idee gewesen war.
Jakob überging das geflissentlich.
In den nächsten Wochen bohrte ihm Lutz so gut wie alle Zähne auf. Jedes Mal sagte er ihm, Jennifer habe auf seine Avancen noch nicht reagiert, und als er die letzte Reihe fertig hatte, sagte er nicht mehr, dass sich Jakob für nächste Woche einen Termin ausmachen solle, und über die ganze Angelegenheit wurde nie wieder gesprochen.
Jakob hatte daran gedacht, Lutz nach Lidocain zu fragen. Denn zwischenzeitlich war ihm der Gedanke gekommen, Lutz habe womöglich gesunde Zähne aufgebohrt. Und dass er sehr wohl etwas von Jennifer gehört hatte. Und dass er seine Geruchlosigkeit über Jennifer spritzte und sie dabei ihren lauten Lacher nicht unterdrücken konnte. In seiner Gegenwart hatte sie schon lange nicht mehr laut gelacht. Warum hatte sie ihm nichts von Lutz’ Avancen erzählt? Verhöhnten sie ihn?
Er starrte auf den Rollstuhl am Ufer. Das Bild fühlte sich wie ein Déjà-vu an. Als wäre der Rollstuhl ein Vorbote für einen bereits hundert Mal begangenen Mord. Jakob wartete, ob sich jemand reinsetzte, um damit davonzufahren, ob jemand tatsächlich eine Leiche fand, ob sich eine Weggabelung ins Überall auftat. Er schloss die Augen. Es hatte zu regnen begonnen, er hatte es gar nicht bemerkt. Das Ufer war menschenleer. Der Regen prasselte auf den Rollstuhl. Das Projekt war beendet. Ein Vibrieren in der Tasche. Er brauchte es nicht zu lesen, er wusste es gleich. Das Signal war in seinem Kopf angekommen, bevor es das Gerät erreicht hatte.
Jakob, ich habe dich verlassen. Suche nicht. Es gibt nichts zu finden. Sei glücklich
. Sie hatte wieder einmal alles vorweggenommen. Sogar eine mögliche Antwort schlug sie ihm aus. Ein Befehl für die weitere Vorgehensweise.
Sei selbst glücklich, Jennifer, leb wohl, Marie
. Aber er schrieb nicht zurück. War es wegen des lächerlichen Streits?
Lass den Rollstuhl einfach am Ufer stehen. Irgendjemand wird ihn schon holen. Sie werden nach einer Leiche Ausschau halten. Aber der Fluss wird nichts ausspucken. Was für ein Tag war heute? Dienstag. Der Tag, an dem Jennifer in den Fluss ging. Nicht hier, dieser Rollstuhl war nur eine Attrappe. Ganz bestimmt. Es war ihr nichts zugestoßen.
Herr Inspektor, wir haben ständig gestritten, da hätte ich sie doch ständig ermorden müssen
. Ohne Zweifel war sie es. Manchmal konnte auch Jakob Dinge spüren. An einem Dienstag. Ganz sicher Dienstag. Es war windig. Er war spazieren. Was solle er groß gemacht haben. Nachgedacht hatte er. Nein, natürlich hatte er nicht vor, sie zu verlassen. Es war nur ein Streit. Nein, sonst fiel ihm nichts ein. Sie hatte keine Feinde. Schon gar keine Freunde. Nicht dass ich wüsste. Wer sollte so etwas tun?
Ich bitte Sie
. Und die Nachrichten?
Sie haben doch bestimmt Programme, die so etwas orten können
.
Jakob ließ den Rollstuhl am Fluss stehen und rannte los. Er lief die Stiegen hinauf in die Wohnung, wo die Möbel noch immer dort standen, wo sie schon morgens gestanden waren. Im Schrank hingen ihre Kleider. Ihr Reisepass steckte in der Dokumentenmappe. Nichts sah nach Aufbruch aus. Sollte er die Polizei benachrichtigen? Er musste mit jemandem sprechen. Konrad. Er griff zum Telefon. Eine neue Nachricht von Jennifer.
Wundere dich nicht. Ich habe alles zurückgelassen. Bitte bring es zu Ruby. Es wäre schön, wenn du Jennifer entsorgen könntest
.
Entsorgen! An diesem Wort erkannte er sie. Kein Zweifel. Das letzte Mal war Jakob bei Ruby gewesen, als er sich den Schachcomputer zurückholte. Rita hatte ständig Dinge von ihm verschwinden lassen. Er hatte sie nie darauf angesprochen, die Dinge, die ihm wichtig waren, versteckte er im Keller. So gesehen hatte er recht früh mit dem Auszug begonnen. Ein Auszug auf Raten. Dass sie Ruby überhaupt wahrgenommen hatte, erstaunte Jakob. Dieser überladene Ramschladen und ihre verwirrte Besitzerin passten so gar nicht zu ihr. Aber er kannte diesen Ton, er konnte ihre Stimme dazu hören. Er sah, wie sie vom Hochhaus sprang, sich auf ein Bahngleis legte und in den Fluss ging. Sie hatte eine Diagnose erhalten. Wie ihr Vater. Jemand hatte sie vergiftet. Jemand hatte ihr
Weitere Kostenlose Bücher