Kochwut
Jansen Claudio zurück, der sofort aufgesprungen war. »Wie lange bleiben Sie noch auf Güldenbrook?«
»Wir sind von Herrn Lebouton für das ganze Wochenende eingeladen und dürfen auch bei den anderen Aufzeichnungen im Publikum dabei sein. Ich laufe Ihnen schon nicht weg«, antwortete Claudio schnippisch und drehte sich elegant zur Tür.
»Na, das freut uns doch. Schicken Sie bitte Frau Lilo Sinkewitz zu uns herein?«
Claudios Konkurrentin war auch nervös, das war nicht zu übersehen. Statt Handtasche nutzte sie einen riesigen schwarzen Lederrucksack, in dem sie erst einmal fahrig herumwühlte, um ihren Ausweis zu finden, und dann immer mal wieder darin kramte, um ein Papiertaschentuch oder ein Bonbon ans Tageslicht zu befördern. Doch sie antwortete geduldig auf alle Fragen von Jansen und Angermüller. Als Favoritin der Sendung strahlte Lilo eine gute Portion Selbstzufriedenheit aus und fasste das Gespräch wohl eher als eine Art Interview auf, denn sie war jetzt ja ein Star. Für die beiden Beamten hatte sie das gleiche Kusshandlächeln wie vorhin für die Kamera.
»Sie haben ja heute gewonnen. Meinen Glückwunsch!«, hatte Angermüller gleich zu Anfang zu ihr gesagt und damit sofort das Eis gebrochen.
»Ach, Sie haben mich gesehen?«, hatte Lilo geschmeichelt gefragt und umständlich ihre Brille zurechtgerückt.
»Das Dessert steht mir allerdings noch bevor, sozusagen das Endspiel. Aber ich bin ganz optimistisch.«
Sie war 58 Jahre alt und zurzeit alleinstehend. Aber das wusste Angermüller schon aus der Show, denn sie hatte dort ein ums andere Mal darauf hingewiesen, dass sie gern auch einen Partner mit ihren selbst gekochten Köstlichkeiten verwöhnen würde. Lilo lebte in Essen und hatte in ihrem Leben schon einige Berufe ausgeübt. Aktuell arbeitete sie bei einem mobilen Pflegedienst für pflegebedürftige Menschen, und ihr liebstes Hobby war Kochen.
»Haben Sie bei Ihrer Arbeitsstelle beruflich mit Medikamenten zu tun?«
»Na ja, ich achte darauf, dass die betreuten Leute die vom Arzt verschriebenen Medikamente richtig einnehmen. Mehr darf ich ja gar nicht.«
Und Lilo erzählte genau, wie ihre Zuständigkeiten beim Pflegedienst beschrieben und eingegrenzt waren. Sie wurde immer redseliger.
Trotzdem brachte das Gespräch mit ihr nichts Neues. Sie gab an, genau wie Claudio, Maja Graflinger nur aus dem Fernsehen zu kennen und sie heute gerade einmal aus der Ferne gesehen zu haben. Auch sie war fast den ganzen Tag über im Studio gewesen, nur am Morgen und vor der zweiten Aufzeichnung war sie in der Maske und ein paar Mal kurz auf der Toilette gleich nebenan.
»Haben Sie gar keine Pause gemacht zwischendurch?«
»Ich brauche keine Pause, wenn ich koche«, lächelte Lilo ihr zuckersüßes Lächeln. »Aber jetzt würde ich mich ganz gern auf mein Dessert konzentrieren, wenn Sie erlauben, und noch ganz kurz in die Maske. In einer halben Stunde soll das Finale anfangen.«
»Was machen Sie denn Schönes?«, wollte Angermüller wissen.
»Das ist eigentlich noch geheim, aber ich verrate es Ihnen: einen warmen Erdbeersabayon auf geeistem Nougatbaiser mit Vanillesahne. Hört sich das lecker an?«
Lilo Sinkewitz hatte ihren Rucksack geschultert und war davongeeilt, um sich aufs Finale vorzubereiten, woraufhin Angermüller zu Jansen sagte:
»Das Wort ›lecker‹ werde ich nie wieder benutzen.«
»Wieso das denn nicht?«
»Weil ich es nicht mehr hören kann, darum!«
Jansen schüttelte den Kopf.
»Manchmal bist du ganz schön komisch.«
Ein gefährliches Bellen ertönte. Angermüller fuhr erschrocken zusammen und ärgerte sich sofort darüber, dass er immer wieder darauf hereinfiel. Jansen holte sein Handy aus der Jackentasche. Er fand diesen Klingelton lustig.
»Das war das Krankenhaus. Die Graflinger wird durchkommen. Aber vernehmungsfähig ist sie frühestens morgen Nachmittag.«
Kapitel IV
»War das gut«, sagte Jansen mit vollem Mund, nahm einen letzten Schluck Cola aus dem großen Pappbecher und wischte sich dann zufrieden mit einer Papierserviette die Ketchupreste vom Mund. In Windeseile hatte er ein extragroßes Kombiangebot von zwei Burgern und Pommes XXL verschlungen. Angermüller saß mit finsterer Miene daneben, denn er hatte wohl oder übel mitkommen müssen, da es zu kalt war, um draußen im Auto zu warten. Nach einem skeptischen Blick in die Karte und die Vitrine im Hofrestaurant hatte Jansen gemeint, er müsse was Richtiges essen, und Angermüller ahnte schon, worauf das
Weitere Kostenlose Bücher