Kochwut
weißblonden Haaren, der immer ein wenig gehemmt wirkte, hielt sich etwas abseits und wehrte Anatols Versuch, ihn mit in die Späße einzubeziehen, mit einer ruppigen Geste ab.
Plötzlich bemerkte sie die beiden Fotografen, die sie vorhin hier im Laden belästigt hatten, wie sie sich im Laufschritt der Gruppe näherten. Doch nicht die jungen Leute hatten ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Hinter dem Grüppchen lehnte Alix Blomberg lässig an der Mauer und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Jetzt hatte auch Anatol sie gesehen und lief zu ihr hin. Die Fotografen drückten wie wild auf ihre Auslöser. Anatol ließ sich bereitwillig fotografieren, doch als die Moderatorin die Reporter bemerkte, verschwand sie schnell wieder im Kavaliershaus.
Die Ladenglocke riss Hilde aus ihren Beobachtungen. Sie bediente eine Frau, die jeden Sonnabend hierher zum Einkaufen kam und die als Stammkundin auch das Recht auf genaue Auskünfte über das schreckliche Ereignis auf Güldenbrook zu haben meinte. Als die Dame endlich merkte, dass es keine neue Nahrung für Klatsch und Tratsch gab, verabschiedete sie sich endlich, und Hilde stand wieder allein hinter ihrer Kühltheke. Während sie einen neuen Schinken aus der Folie nahm, musste sie wieder an die jungen Leute denken. Irgendwie tat Hilde der schüchterne blonde Ernie leid. Schon am gestrigen Abend, als Anatol das ganze Lob einheimste, auch für das köstliche Abendessen, an dessen Zubereitung der andere mindestens genauso viel beteiligt war, hatte sie den so unbeholfen wirkenden Jüngling bedauert. Pierre hatte überdeutlich seine Bevorzugung Anatols gezeigt, dem er einiges zuzutrauen schien. Der andere, selbst wenn er die gleichen Fähigkeiten hatte, würde wahrscheinlich nie solche Sympathien wie sein gut aussehender Kollege gewinnen können. Die Welt war eben ungerecht. Vielleicht sollte sie bei Pierre einmal ein gutes Wort für den Jungen einlegen.
Bei dem Gedanken an Pierre fiel ihr ein, dass sie heute Morgen ihrem Vater endlich hatte erzählen wollen, wie es zwischen ihnen beiden stand. Erst hatte sie lange überlegt, wie sie wohl am besten anfangen sollte, dann fand sie aber nicht die richtigen Worte, sodass die Zeit knapp wurde und sie losmusste. Aber vor heute Abend wird das erledigt, schwor sie sich. Schließlich war es doch eigentlich eine schöne Neuigkeit, dachte sie, auch für Hinrich.
In der Gesindeküche herrschte einen Moment Stille nach Angermüllers Frage, ob sie manchmal Urlaub in den Bergen mache. Nur das Klicken, als Jansen das Aufnahmegerät einschaltete, war zu hören. Dann nickte Lilo eifrig.
»Ja! Ich liebe die Berge!«, sagte sie lebhaft. »Diese majestätische Größe, einfach wunderbar. Dort ist die Natur dem Menschen so nah. Jedes Jahr fahre ich ins Gebirge, wenn ich es mir leisten kann.«
»Auch zum Kräutersammeln?«
Lilos Blick wurde misstrauisch.
»Ja«, kam es etwas zögerlich.
»Woran denken Sie, wenn ich sage Blauer Eisenhut?«
Der Kommissar nahm neben seinem Kollegen am Tisch Platz, und beide blickten Lilo Sinkewitz aufmerksam an.
»Sie sagen ja gar nichts. Sie als gelernte Heilpraktikerin müssten doch eigentlich über die vielfältigen Wirkungen dieser Pflanze Bescheid wissen, oder?«
Lilo saß wie erstarrt.
»Wirkt gegen Fieber, Neuralgien, Entzündungen und noch so einiges andere, habe ich gehört. Aber, Frau Sinkewitz, was ist dabei zu beachten?«
Sie sagte immer noch nichts. Dann nahm sie ihre rote Brille ab, und plötzlich rollten dicke Tränen über ihre Wangen. Es dauerte einen Moment, bis sie sprechen konnte.
»Bitte, bitte glauben Sie mir! Das wollte ich nicht! Ich wollte Frau Graflinger nicht vergiften, das wollte ich ganz bestimmt nicht!«
Verzweifelt schlug sie die beringten Hände vors Gesicht und stieß hohe Klagelaute aus.
»Was wollten Sie dann, Frau Sinkewitz?«
Langsam beruhigte sie sich wieder ein wenig.
»Ich wollte gewinnen«, sagte sie kleinlaut. »Ich brauche das Geld, ich habe Schulden, und wissen Sie, was man bei so einem Pflegedienst verdient?«
Es klang vorwurfsvoll.
»Nach dem zweiten Durchgang war ich mir jedenfalls sicher, ich hab’s geschafft. Aber als ich dann hörte, dass die Graflinger für Alois Schlipf in die Jury kommt, das war wie ein Schock. Mit Herrn Schlipf konnte ich richtig gut, aber die ist doch so streng, die Frau Graflinger, und noch nie hat bei der eine Frau gewonnen.«
»Und da haben Sie beschlossen, Maja Graflinger auszuschalten?«
Lilo schüttelte heftig den
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