Kochwut
Stück vom Goldkuchen ab.
»Ich muss dir was erzählen«, sagte sie dann und setzte sich zu ihm an den Tisch.
»Haben sie den Mörder von Christian gefasst?«
»Nein Vadder. Es ist was ganz anderes. Was Schönes eigentlich.«
Hinrich hob den Kopf, den er beim Essen tief über den Kuchenteller gebeugt hielt, da seine Hände inzwischen etwas zittrig waren und leicht etwas zu Boden fiel, und sah sie aufmerksam an. Was sollen lange Vorreden, dachte Hilde.
»Also, der Pierre und ich«, begann sie, doch so einfach fand sie es dann doch nicht. »Kennen tun wir uns ja schon länger …«
Die Klingel an der Haustür unterbrach Hildes Versuch, die Dinge zu erklären, und sie stand widerwillig auf, um zu öffnen.
»Ach, Sie sind das«, empfing sie die beiden Kriminalbeamten nicht sehr erfreut. »Was gibt’s denn noch?«
»Guten Tag, Frau Dierksen«, sagte der Große mit dem süddeutschen Akzent. »Wir würden gern noch einmal kurz mit Ihnen und Ihrem Vater sprechen.«
»Bitte kommen Sie doch rein.«
Musste das ausgerechnet jetzt sein, dachte Hilde? Einen schlechteren Moment hätten sich die beiden wirklich nicht aussuchen können. Sie führte sie in die Stube. Als Hinrich sie sah, fragte er sofort ungeduldig nach dem Fortgang der Ermittlungen.
»Haben sie ihn schon?«
»Leider nicht, Herr Dierksen. Aber wir arbeiten dran«, antwortete der Kommissar freundlich, und sein jüngerer Kollege nickte bekräftigend. Sie nahmen am Tisch Platz, den Tee, den Hilde ihnen der Höflichkeit halber anbot, lehnten sie ab.
»Wir würden gern noch einmal einen Punkt klären«, fing der an, der Angermeier oder so ähnlich hieß, wie Hilde sich erinnerte. »Wie lange genau war der Herr Lebouton am Donnerstagabend bei Ihnen? Oder besser, wann genau ist er gegangen, Herr Dierksen?«
Der alte Mann sah den Beamten mit wachem Blick an.
»Sie überprüfen das Alibi von Herrn Lebouton, nicht wahr?«, stellte er sachlich fest. »Wie ich Ihnen gestern schon sagte, von mir hat er sich so bei 22 Uhr rum verabschiedet.«
Hilde spürte plötzlich, wie alles Blut in Richtung Magen sackte und ihr dann gleich wieder im Gesicht ganz heiß wurde. Wahrscheinlich hatte Pierre den Polizisten gesagt, dass er sie erst nach Mitternacht verlassen hatte, und nun brachte sie ihn in Schwierigkeiten, weil sie nicht hatte erzählen wollen, dass er Donnerstagnacht statt zu gehen, nur leise ins obere Stockwerk gestiegen war. Nur weil sie diese peinliche Komödie hatte verschweigen wollen, die sie Hinrich vorgespielt hatten.
»Aber wann Herr Lebouton dann nach Hause gegangen ist, das kann ich Ihnen nicht sagen«, hörte sie Hinrich wie in weiter Ferne antworten. Erstaunt blickte sie zu ihm hin, versuchte aber gleich, so gelassen wie möglich zu wirken, als die Köpfe der beiden Beamten sich zu ihr wandten.
»Ach so«, Hilde räusperte sich. »Hab ich Ihnen das gestern nicht schon gesagt?«
Die beiden sahen sie an und schüttelten bedauernd den Kopf.
»Wir haben dann noch eine ganze Weile zusammengesessen. Es muss so kurz nach Mitternacht gewesen sein, als Pierre nach Hause gegangen ist.«
»Sind Sie sich da ganz sicher, Frau Dierksen?«, fragte dieser Angermüller – ja, so hieß er – noch einmal.
»Ich bin mir ganz sicher«, bekräftigte Hilde. Die beiden Kommissare sagten nichts mehr dazu. Der mit Namen Angermüller sah das fleckige Heft und verwickelte sie noch in ein kurzes Gespräch über die Kochrezepte ihrer Mutter. Sie fragte sich, welchen verborgenen kriminalistischen Zweck er damit wohl verfolgte. Kurz darauf verabschiedeten sich die zwei. Zum einen war Hilde heilfroh, als sie weg waren, zum anderen musste sie jetzt zurück in die Stube zu Hinrich. Sie drückte die Klinke, atmete tief durch und setzte sich wieder zu ihm.
»Vadder, ich …«, begann sie, »Pierre und ich, das hat sich irgendwann so zwischen uns ergeben, und ich wollte es dir längst erzählen.«
Eine ganze Weile sagte ihr Vater nichts, aber plötzlich lächelte er.
»Was ist, was hast du?«
»Ach Kind«, seine faltige Hand griff nach der ihren. »Du hältst mich wohl fürn ollen Doesbaddel? Dat heb ich wohl schon lange mitkriegt, dass ihr zwei beiden euch ’n beten lieb habt.«
Sie hörte, dass Hinrichs Stimme ein wenig unsicher wurde, wie immer, wenn ihm etwas naheging.
»Das freut mich so für dich, min Deern.«
Sie sprang auf und gab Hinrich schnell einen Kuss auf die Stirn. Doch in ihre Erleichterung mischte sich die Befürchtung, sie könnte Pierre, in dem Wunsch,
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