Köhler, Manfred
ich, dass sie jetzt deinen Posten hat. Und inoffiziell hat auch Walter schon nichts mehr zu sagen.“
„Und auf einmal ist sie wie verwandelt! Du glaubst gar nicht, wie zuckersüß die seit gestern zu mir ist.“
„Glaube ich schon, die beiden sind nämlich nicht mehr zusammen. Ich weiß nicht, wer Schluss gemacht hat, aber wahrscheinlich sie, weil sie jetzt hat, was sie wollte. Das ist eine eiskalte Schlange, kann ich dir sagen, fast tut mir der Crähenberger leid. Die kann ihm, wenn sie will, ganz schön schaden. Und mit dir hat dieses Intrigenbiest einen tollen Spielball. Sieh dich vor, mein Junge!“
Lothar Sahm, der zu tun hatte, dieses drastisch veränderte Alltagsbild zu verdauen, winkte ab.
„In mir einen Spielball, wieso denn? Mir ist dieser ganze Unfug doch egal. Ich mache meinen Job, solange ich auf das Geld angewiesen bin, und dann haue ich ab, je eher desto besser. Ich werde so oder so nicht alt bei dieser Zeitung.“
Er stand auf, Peter blieb sitzen.
„Alles hinschmeißen will jeder mal, aber wenn man tatsächlich vor dem Nichts steht, dann wünscht man sich den Stress und die Intrigen manchmal zurück. Überlege dir, was du machst! So gut wie als Redakteur verdient man so leicht nirgends, und der Alltag ist in jedem Job öde.“
So öde allerdings fand Lothar Sahm seinen Job gar nicht mehr. Unter dem Eindruck der bevorstehenden Reise, vor allem aber bar der Verantwortung seines Stellvertreterpostens und betraut mit einer interessanten Aufgabe, war sein Drang, in ein freies Schriftstellerleben zu entkommen, nicht allzu übermächtig. Unwohl wurde ihm erst wieder, als der Leichenfund aufgeklärt war und Liane Czibull ihm einen neuen Auftrag zudachte, eine kleine Aufgabe mit Folgen...
Drei Tage hatte es gedauert, bis der Tote aus dem Bach identifiziert worden war. Er war aus einer Anstalt für psychisch Kranke davongelaufen, hatte sich irgendwie die knapp 400 Kilometer von dort bis hinunter nach Wallfeld durchgeschlagen und war nicht etwa im Rinnsal des Stadtwäldchens ertrunken, sondern in einer eiskalten Nacht daneben liegend erfroren und offenbar erst nach dem Herzstillstand von einer leichten Seitwärtslage aus auf den Bauch gekippt und mit dem Gesicht unter Wasser geraten. Sein fehlender Schuh wurde unweit der Leiche gefunden, Unterhemd, Pullover und Jacke allerdings kilometerweit verstreut.
Die Czibull war so angetan von diesen Fakten, dass sie den Fall selbst übernahm. Jetzt wurde es erst richtig spannend: Wie konnte der Mann aus der Anstalt entkommen sein? Warum war er nicht als vermisst gemeldet und gesucht worden? Wieso hatte er seine Kleider von sich geworfen und war bei eisiger Kälte mit nacktem Oberkörper durch den Wald gelaufen? Ging das auf sein psychisches Leiden zurück oder war es womöglich doch Selbstmord gewesen?
Staunend stellte Lothar Sahm fest, dass Liane Czibull mit der halben Wallfelder Polizei auf Du und Du war, sie bekam Informationen, die ihm selbst ganz sicher verweigert worden wären. Und sie machte keinen Hehl daraus, dass sie den Polizeifunk abhörte.
Bevor sie sich so richtig in den Fall hineinkniete, gab sie Lothar Sahm eben jenen anderen Auftrag, einen langweiligen: Festakt mit Ausstellungseröffnung. Der Wallfelder Kulturverein hatte unter massivem Einsatz von Landesfördergeldern und städtischen Mitteln das alte Wasserwirtschaftsamt zu einem Museum für Moderne Kunst umbauen lassen und dem Wallfelder Künstler Heribert J. P. Kulunke gewidmet, der sich zu Lebzeiten auch überregional hervorgetan hatte, inzwischen aber weitgehend vergessen war.
Mit Moderner Kunst konnte Lothar Sahm nichts anfangen. Er schrieb so neutral-freundlich wie nur möglich über die Eröffnung, verschwieg nicht die hohe Summe aus der städtischen Haushaltskasse, hob aber die Ansicht der Initiatoren hervor, das Geld sei gut angelegt, werde man doch mit dem Kulunke-Museum Kunstfreunde aus aller Welt nach Wallfeld locken und international Erwähnung finden.
Liane Czibull nahm sich trotz ihrer hochbrisanten Leichen-Story Zeit, seinen Artikel aufmerksam zu lesen. Ob er sich die Ausstellung gründlich angesehen habe, wollte sie wissen; ob er dieser Art von Kunst zugeneigt sei; und wenn nein, ob er sich zutraue, eine liebevoll-bösartige Glosse zum Thema zu verfassen – keine Angst wegen Herrn Crähenberger, den übernehme sie schon. Die Glosse dürfe nur nicht direkten Bezug auf die Kulunke-Ausstellung nehmen, allenfalls in Andeutungen.
Lothar Sahm setzte sich an seinen
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