Köhler, Manfred
einer solchen Stimme reden hören. „Lasse doch diesen Unsinn! Das bringt doch nichts. Du hast außerdem alles, was du wolltest.“
„Hast du übrigens meine Story über den Ausbruchskandal gelesen?“, fragte sie unvermittelt, aber in einem Ton, als würde sie damit auf Crähenbergers vorangegangene Aussage eingehen.
„Nein, was soll denn das jetzt? Lenke bitte nicht ab, ich...“
„Bevor wir weitersprechen, lies erst mal diesen Artikel, damit du mal siehst, was du an mir hast. Ich mache deine Zeitung zur meistgelesenen weit und breit! Wir müssen uns endlich aus diesem lokalen Filz freikämpfen, mein Lieber. Ciao.“
Bevor Crähenberger nach Luft schnappen konnte, hatte sie die Verbindung unterbrochen.
„Haben Sie meinen Artikel gelesen, Lothar?“
„Ja, habe ich.“
„Und, wie finden Sie ihn?“
„Erschöpfend recherchiert, flott geschrieben, aber im Ton völlig daneben.“
„Wieso das?“
„Typischer Boulevardstil. Einseitig und populistisch. Sie machen aus einem Malheur in einer Anstalt für harmlose, verwirrte Menschen ein bundesweites Sicherheitsrisiko. Natürlich lesen die Leute so was mit Begeisterung, immer feste auf andere einprügeln, da steigt die Auflage, aber zu welchem Preis? Dank Ihres Textes haben jetzt Leser, die nicht kritisch hinterfragen, ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit im Kopf.“
„Der Wirklichkeit, ach so ... Wirklichkeit und Wahrheit, ts, wie pathetisch. Die Wirklichkeit ist immerhin, dass dieser Mann elend erfroren ist.“
„Ja, aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände. Natürlich darf man auch Freigänger nicht sorglos gewähren lassen, aber wenn mal was vorkommt, kann man nicht die ganze Anstalt an den Pranger stellen und die Schließung fordern. Nicht, dass ich Ihnen einen Vorwurf mache, Sie haben es bei Ihrer früheren Zeitung eben so gelernt.“
„Ach, und Sie haben von Ihrer Zeitung wohl gelernt, der Wahrheit zu dienen und nichts anderem als der Wahrheit – hören Sie doch auf!“
Aus ihrer herablassenden Chefhaltung geriet Liane Czibull unvermittelt in Rage. Die Hautauffälligkeit auf ihrer Nase trat dabei deutlicher als sonst hervor. Sie warf ihm die aufgeschlagene Zeitung in den Schoß.
„Kein Wort findet sich in Ihrem Artikel davon, dass die Wallfelder Bevölkerung auf breiter Front gegen dieses Museum ist, erstens, weil dieser ach so große Künstler Heribert J.
P. Kulunke ein elender Gauner und Unsympath war und bestimmt kein Aushängeschild für die Stadt, und vor allem, weil die OB-Fraktion unsere Straßen zu Schlaglochpisten verkommen lässt und lieber ein Museum für Kunstwerke baut, die sich allenfalls selbsterklärte Kunstkenner antun und mit denen ein Normalsterblicher nichts anfangen kann. Und warum? Weil im Vorstand des Kulturvereins Leute sitzen, die sich mit diesem Museum ein Denkmal setzen wollen und die auch die nötigen Beziehungen haben, ihre selbstverliebten Schwachsinns-Ideen durchzudrücken. So viel zu Wirklichkeit und Wahrheit der Berichterstattung in der Wallfelder Rundschau.“
Lothar Sahm lächelte in sich hinein. Die Diskussion begann ihm Spaß zu machen. Er war durchaus nicht gegenteiliger Ansicht, aber es gefiel ihm, sie aus der Reserve zu locken.
„Das mag ja alles stimmen, und ich bin bestimmt kein Freund von Moderner Kunst oder gar von Heribert J.
P. Kulunke, aber kann man wissen, ob unserer Stadt dieses Museum nicht als weicher Standortfaktor langfristig Vorteile bringt? Selbsterklärte Kunstkenner finden sich nämlich auch in den Vorstandsetagen ansiedlungswilliger Betriebe. Klar haben die Leute im Kulturverein und im Stadtrat ihre Eigeninteressen, aber viele haben außerdem auch das Wohl der Stadt im Sinn. Mit einer Lokalzeitung voller schreibender Terminatoren, die jedem engagierten Bürger sofort jede umstrittene Idee und erst recht jeden Fehler öffentlich um die Ohren hauen, kommt alles zum Stillstand, weil sich nämlich niemand mehr den Mund aufzumachen traut.“
Liane Czibull lachte spöttisch auf.
„Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass es sich diese Zeitung nur aus diesem einen hehren Grund verkneift, klar Stellung zu beziehen! Die Rundschau kann gar kein unabhängiges Medium sein, weil sie viel zu sehr von Anzeigenkunden und Interessengruppen abhängt, von einzelnen Politikern und leider sogar von Vereinen, die damit drohen, kollektiv das Blatt abzubestellen, wenn nicht über jeden Furz, den sie lassen, berichtet wird, aber bitte wohlwollend.“
„Das Problem hat jede
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