Köhler, Manfred
Laptop. Er musste nicht lange überlegen, denn ihm war im Museum schon manch bissiger Gedanke zu manch seltsamem Kunstwerk gekommen. Er schrieb:
Sportliche Kunst
Auffallend an der Evolution der modernen Kunst ist, dass sie mit dem Boom an Sitzberufen, mit dem zunehmenden Bewegungsmangel unserer heutigen Zeit einhergeht. Bedenkt man diese Parallelentwicklung, wird plötzlich ein besonderer Sinn hinter scheinbar sinnlosen Kunstwerken offenbar, verlangt doch das Trachten, verborgene Harmonien in vordergründigen Klecks-Gemälden aufzuspüren oder mit wüsten Kraut-und-Rüben-Skulpturen eins zu werden, einiges an Schweiß, Gelenkigkeit und Muskelkraft. Das glauben Sie nicht? Dann folgen Sie uns mal in die Galerie um die Ecke.
Da haben wir sie also, „Die Verborgene“: Bronzeplastik, Wladimir Gützhuber, 1982, verrät uns die kleine Tafel am Fuße des Sockels. Aber wo ist sie denn nun, die Verborgene? Aus dem Fundament ragt schon etwas Bronzenes, allerdings verhüllend mehr denn erbauend, ganz, wie es der Name verspricht. Oben ist eine kleine Öffnung. Wir bemühen die Wadenmuskulatur, recken den Hals, bis die Wirbel knacken – erste sportliche Übung beendet. Wir wenden uns dem nächsten Kunstwerk zu. „Das Grauen“ verspricht ein kleines Schildchen unter dem Aquarell von Theobald von Odendorn, 1979. Eindrucksvoll; erschreckend, in der Tat. Aber hängt es nicht vielleicht verkehrt herum? Wir neigen den Kopf, dehnen dabei wirkungsvoll sämtliche Hals- und diverse Schultermuskeln, gewinnen 20 Meter Abstand zu dem Bild, eilen erneut darauf zu, kommen leicht außer Atem, beenden Übung Nummer zwei.
So trimmen wir uns durch die edlen Hallen, treppauf, treppab, einen Schweißfilm auf der Stirn, als wir den Ausgang erreichen. Im Geiste die Gewissheit: Wir wären längst zu einem Mensch-Metall-Symbionten mit unserem Bürostuhl verwachsen, würfe die Moderne Kunst nicht so bewegungsintensive Rätsel auf. LS
Die Czibull war voll des Lobes. Sie habe jetzt noch zu tun, er solle sich irgendwie die nächste halbe Stunde beschäftigen, dann könne er Feierabend machen.
Am nächsten Tag rief sie ihn gleich bei Dienstbeginn zu sich. Unterdessen war er mit seinem früheren Büro schon wieder sehr vertraut, sogar an die neue Ordnung, die sie geschaffen hatte, und an den Qualm, den sie unentwegt produzierte, gewöhnte er sich langsam.
„Setzen Sie sich!“, sagte sie freundlich. „Unser Geschäftsführer hat mich anmailen lassen, er wolle wegen der heutigen Ausgabe ein Wort mit mir sprechen. Erlauben Sie, dass ich ihn kurz anrufe, bevor wir zwei uns unterhalten?“
„Sicher“, sagte er. Ein flaues Gefühl ging ihm durch den Bauch.
Sie tippte bei aufgelegtem Hörer und aktivierter Freisprechfunktion die Durchwahl, Crähenberger meldete sich.
„Einen wunderschönen guten Morgen“, begann sie, ohne Lothar Sahm aus den Augen zu lassen. „Du wolltest mich sprechen?“
Lothar Sahm wurde auf ihren provozierenden Tonfall und das vertraute Du hin zutiefst unbehaglich zumute. Er machte eine abwehrende Handbewegung und wollte aufstehen, um den Raum zu verlassen, aber sie legte den Finger auf die Lippen und hieß ihn schweigend sitzen bleiben.
„Ja, na endlich, es geht um diese Kunst-Glosse.“
Crähenbergers Stimme bebte vor unterdrückter Wut.
„Du glaubst nicht, was ich heute Morgen durchgemacht habe deswegen, ein empörter Anruf nach dem anderen. Wie konntest du diesem Sahm nur erlauben, einen solchen Scheiß zu schreiben und auch noch direkt neben dem Artikel über den Festakt zu platzieren?! Jeder denkt jetzt, wir stellen das neue Museum in Frage, verdammt, und üben Kritik wegen Verschwendung städtischer Haushaltsmittel. Der OB ist auf 180 deswegen, er ist mitten im Wahlkampf, das kann ihn die Wiederwahl...“
„Ich habe dem Herrn Sahm gar nichts erlaubt“, unterbrach sie ihn.
Lothar Sahm krümmte sich leicht zusammen.
„Was?“, gellte Crähenbergers Stimme aufgebracht aus dem Lautsprecher. „Willst du damit sagen, er hat auf eigene Faust...“
„Nein, will ich nicht. Ich habe ihn ausdrücklich gebeten, eine schöne Glosse passend zu seinem Artikel zu schreiben, und ich finde, das ist ihm gelungen. Die Leute lesen doch gern auch mal was Heiteres, Bissiges...“
Heftiges Atmen unterdrückter Wut drang rauschend durch den Lautsprecher.
„Liane, ich bitte dich“, sagte Crähenberger jetzt künstlich gefasst, einschmiegsam freundlich und deutlich unterwürfig. Noch nie hatte Lothar Sahm diesen Menschen mit
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