Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft

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auszufragen.
    „Nein, wie kommen Sie denn darauf?“, fragten die verblüfft zurück. „Wir sind doch keine Schauspieler! Wir sind Bürger, wir leben hier. Ich bin Mrs. Wilson, der Gentleman hier an meiner Seite ist der ehrenwerte Mr. Barker, der Namensgeber unserer Stadt.“
    Es half nichts, sie blieben bei ihrer Rolle. Er fühlte sich herausgefordert, wollte sehen, wie weit sich das Spiel treiben ließ – da tippte ihm Ellen auf die Schulter.
    „Du, das gibt nichts her, wir fahren weiter.“
    Er fiel aus allen Wolken.
    „Ich habe ja noch fast nichts gesehen. Zwei Stunden wollten wir doch bleiben, mindestens! Jetzt ist es gerade mal...“
    Er suchte seine Uhr.
    „Keine halbe Stunde, ich weiß. Ich habe mir das aber anders vorgestellt, nicht so künstlich und aufgemöbelt. Irgendwie ist mir das alles zu steril.“
    Sie marschierte kurzerhand zum Ausgang. Er folgte ihr, empört gestikulierend.
    „Künstlich? Das ist hier genauso wenig künstlich wie deine Totempfähle in Vancouver. Das ist alles echt, hier haben bis 1979 noch Menschen gelebt! Und da stecken Geschichten drin, das glaubst du gar nicht...“
    „Das glaube ich schon, aber ich brauche keine Geschichten, sondern Fotos für einen Kalender, und die sollen ausschauen wie urigstes Kanada. Westernwunderländer gibt es auch in deutschen Vergnügungsparks.“
    „Können wir denn nicht einfach mal zum Spaß eine Stunde bleiben?“
    „Du scheinst das hier ja doch mit einem Urlaub zu verwechseln. Ich muss das schöne Wetter ausnutzen, das war doch zwischen uns so ausgemacht. Wenn es mal bewölkt ist, dann kommst du auf deine Kosten.“
    Bis es so weit sein würde, tröstete er sich, indem er alles Informationsmaterial zusammenraffte, das im Eingangsbereich zu finden war. Der Stapel bunten Papiers in der Hand, den Blick auf Motive, die er soeben im Original zu sehen zwangsweise verpasst hatte, ließ es ihm allerdings noch schwerer fallen, sich von dem Ort zu lösen, an dem seine Wildwest-Träume Realität waren.
    „Jetzt hör schon auf zu schmollen!“, forderte Ellen mit versöhnlicher Stimme, als sie das Auto erreicht hatten. „Wir kommen hier ja auf dem Rückweg wahrscheinlich noch mal vorbei. Wenn ich dann genug im Kasten habe, kannst du von mir aus den ganzen Tag mit diesen Touristenführern herumhängen. Deine Mrs. Wilson ist dann bestimmt auch noch da.“
    Sie sagte das in einem bestimmten Ton und machte ein bestimmtes Gesicht dazu, eine bestimmte Deutung dieses überstürzten Aufbruches drängte sich ihm auf – Unsinn! Foto-Verrückte, die sie war, würde die sich bei lohnenden Motiven durch nichts vom Knipsen abhalten lassen, schon gar nicht davon, mit wem er sich die Zeit vertrieb. Sie war nur verbohrt genug, dieses historische Juwel gering zu schätzen. Er beschloss, ihr zu mehr Einsicht und Gespür zu verhelfen.
    „Hast du gewusst, dass die Stadt nach einem Mann benannt ist, der wirklich hier gelebt hat?“, fragte er, jetzt seinerseits sehr versöhnlich. Ellen starrte unter ihrem Mützenschirm entlang desinteressiert auf die Straße. Sie legte ein Tempo vor, als gelte es in den vier Wochen ihres Aufenthaltes den amerikanischen Doppelkontinent zu durchfahren.
    „Nein, aber das liegt ja nahe.“
    „Das ist eine Story, die mich wirklich berührt hat. Also, dieser Billy Barker war ein desertierter Seemann, der lange vergeblich nach Gold gebuddelt hatte. Als er schon aufgeben wollte, fand er Gold für 1.000 Dollar pro Quadratfuß. Über Nacht entstand an der Stelle eine Stadt, Billy Barker wurde Ehrenbürger, lebte dort als reicher Mann, verliebte sich, heiratete...“
    „Eine echte Hollywood-Schnulze.“
    „Eben nicht. Seine Frau starb, er verlor sein Geld. Aber er dachte sich: Habe ich einmal Gold gefunden, finde ich es noch einmal. Jahrelang hat der Mann von da an verbissen gerackert und fest an seine zweite Chance geglaubt, aber er fand nichts mehr und krepierte bettelarm.“
    „So kann es gehen im Leben. Aber was anderes: Ich schlage vor, wir fahren so lange wie möglich in den Abend rein, damit wir morgen so früh wie möglich auf dem Alaska Highway sind.“
    „Meinetwegen.“
    Dir erzähle ich noch mal was, dachte er sich. So eine schöne Geschichte, wie kann man die so kaltschnäuzig abbügeln! Man konnte im Auto nebeneinandersitzend denselben Weg durchs selbe Land fahren, so stellte er fest und notierte es auch gleich auf einem Schmierzettel als wichtige Erkenntnis zur Belebung seiner Roman-Geschichte, man konnte ein und dasselbe