König Artus
aus, denn sie waren selbst steinreich, während er außer seiner Rüstung und seinem Ruhm nichts besaß. Was also konnte ihre Absicht sein? »Sie müssen etwas von mir wollen«, sann er, »etwas, von dem ich selbst vielleicht nichts weiß – einen Dienst, ein Geheimnis?« Das Grübeln überforderte ihn, und so gab er es auf, doch sein Kämpfersinn setzte aus alter Gewohnheit die Analyse fort. »Wenn ein Mann bei einem bestimmten Hieb zusammenzuckt oder einen Hieb nicht voll ausführt, hat das gewöhnlich seinen Grund – eine alte Wunde oder auch nur ein alter Kummer. Ein Mann, der das Waffenhandwerk ergreift, tut dies aus klar erkennbaren Gründen, aber was treibt einen Mann oder eine Frau dazu, die schändliche Kunst der Nekromantie zu studieren?«
Lancelot hatte sich wieder vergaloppiert, und er trieb seinen Geist zu einem zweiten Versuch an, als ihm ein Bild vor das innere Auge trat, aber ein lebendiges, plastisches Bild, von allen Seiten zu sehen, klar und glänzend wie Kathedralglas. Er sah einen jungen, entschlossenen Lancelot – nur daß er damals Galahad genannt wurde – auf den von Hufen aufgerissenen Turnierplatz purzeln, nachdem ihn die stumpfe Lanze eines Vierzehnjährigen getroffen hatte. Wieder sprengte Galahad los, und abermals flog er durch die Luft. Sein kurzes Kinn spannte sich an, die Lippen waren blau vor Entschlossenheit. Zum drittenmal warf ihn die stumpfe Lanze aus dem Sattel, und als er hart im Sand landete, fuhr ein Schmerz wie ein Schrei sein Rückgrat hinauf. Der Zwerg mit dem Winkel am Arm, breit wie ein Faß, trug den Knaben, aus dem die Schmerzen herausbrachen, zu seiner Mutter. »Der andere Knabe war zu groß für ihn, Madame«, sagte der Knappe. »Aber den Gleichaltrigen ist er weit überlegen. Galahad wird hier nicht zu halten sein.« Doch lange Zeit war es ganz leicht, ihn zu halten, denn er konnte sich nicht rühren. Man klemmte ihn zwischen zwei Sandsäcke und sorgte so dafür, daß er still liegenblieb. Und während er so unbeweglich dalag, während sein verstauchtes Rückgrat heilte, wuchs in der Phantasie des Knaben sein Gegner zu einem baumgroßen Kerl heran. Im Wachen und im Schlafen fegte ihn immer wieder die stumpfe Lanze vom Pferd, bis er für seinen verletzten Stolz ein linderndes Mittel fand. Unter seinem linken Arm war ein kleiner Knopf, von dessen Vorhandensein nur er selbst wußte. Drei Drehungen nach rechts mit den Fingern seiner linken Hand und eine halbe zurück, und er verwandelte sich mitten im Kampf in eine schwarze Wolke und überwältigte den Vierzehnjährigen. Doch der geheime Knopf vermochte noch etwas anderes zu bewirken. Zwei Drehungen nach rechts und zwei nach links, und Galahad konnte fliegen und schweben und zustoßen wie ein Raubvogel. Manchmal verließ er während einer Tjost sein Pferd, flog ihm voraus und schlug den jungen Riesen nieder. Und als letztes: ein einfacher Druck auf den Knopf machte ihn unsichtbar. Er konnte es zwischen seinen Sandsäcken nicht erwarten, bis er allein war und den Traum zurückholen konnte. Es war eigenartig, daß ihm das alles entfallen war, als seine Fähigkeiten sich herauszubilden begannen. Und plötzlich ging Sir Lancelot in der Finsternis seines Kerkers ein Licht über die Zauberei und die Nekromantie und diejenigen auf, die sie praktizierten. »So ist das also«, dachte er. »Die armen Tröpfe, die armen, unglücklichen Tröpfe!«
Die romantische Vorstellung, daß Menschen, die sich ängstigen, an Wunden oder unter Verfolgung leiden, schlaflose Nächte verbringen, ist unzutreffend. Häufiger kommt es vor, daß sie sich in den Schlaf zurückziehen, um einige Zeit unbeschwert zu sein. Ein Mann wie Lancelot, ein gestählter Kämpfer, erfahren und in Gefahren erprobt, schläft auf Vorrat, so wie er sich mit Proviant und einem Wasservorrat versieht, denn er weiß, daß Mangel an Schlaf seine Kraft schwächt und ihn geistig abstumpfen läßt. Und obwohl der Ritter schon einen Teil des Tages verschlafen hatte, entzog er sich der Kälte, der Finsternis, der Sorge um das unbekannte Morgen, glitt in einen traumlosen Schlummer und verharrte darin, bis in sein Verlies aus nacktem Stein sanftes Licht eindrang und immer stärker wurde. Dann erwachte er, schüttelte die kalten Glieder locker und umschlang wieder die Knie, um sich aufzuwärmen. Er konnte die Quelle des Lichts nicht erkennen. Es kam von überall her, nach Art der Morgendämmerung, ehe die Sonne aufsteigt. Er sah, daß die mit Mörtel zusammengefügten Steine
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