König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
drei Brüder von mir in Heimrift gestorben wären, hätte ich mit dem Mann, der an diesem Ort herrschte, eine Rechnung zu begleichen. Die Dänen schienen so von Ferrakind zu denken wie auch von den Vulkanen. Sich mit ihm anzulegen … Genauso gut könnte man einen Groll gegen die Klippe hegen, von der ein Freund in den Tod gestürzt ist.
Ich brachte uns nach Halradra zurück, über die Wege und Hänge, die wir bereits kannten. Als wir höher kamen, wurde der Wind stärker und nahm uns den Schweiß. Die Sonne blieb hell, und es schien ein guter Tag zu sein. Wenn er unser letzter sein sollte, so war er wenigstens angenehm. Wir wanderten durch ein langes Tal mit schwarzer Asche und gebrochenen Lavaströmen – die alten Strömungslinien zeichneten sich deutlich im erstarrten Gestein ab. Weit über uns stand die Hütte eines einsamen Hirten, winzig vor dem Hintergrund der gewaltigen Masse des Berges. Sie musste aus einer Zeit stammen, als es in dieser Höhe noch Gras gegeben hatte. Eine kleine Wolke am Himmel schob sich vor die Sonne, und ihr Schatten strich über die stillen felsigen Höhen, die von Osten nach Westen reichten. Ein dumpfes Grollen kam aus den Tiefen von Gorgoths Kehle. Das gefiel mir beim Reisen mit Gorgoth. Er hortete seine Worte, sodass man nichts von seinen Gedanken wusste, aber er verpasst nie etwas, nicht einmal die seltenen Momente, wenn die Myriaden Teile unserer schmutzigen, abgenutzten Welt sich auf eine Weise ordnen, die so schön ist, dass der Anblick fast schmerzt.
Gorgoth schwieg meistens, und ebenso oft schwatzte Gog genug für zwei. Meistens ließ ich es einfach über mich ergehen. Kinder plappern. Es liegt in ihrer Natur, und ich hielt es für meine Pflicht, es dabei bewenden zu lassen. Doch als wir den
Berg Halradra zum zweiten Mal erkletterten, gab Gog keinen Ton von sich. Nach so vielen Wochen von »Warum haben Pferde vier Beine, Bruder Jorg?« und »Aus welcher Farbe besteht Grün, Bruder Jorg?« und »Warum ist der Baum dort größer als der andere, Bruder Jorg?« sollte man meinen, dass ich in dieser Hinsicht eine Verschnaufpause zu schätzen wusste, aber seltsamerweise wurde sein Schweigen zu einer Last.
»Heute keine Fragen, Gog?«, fragte ich.
»Nein.« Er warf mir einen Blick zu und sah dann zur Seite.
»Nichts?«, fragte ich.
Wortlos setzten wir den Weg über den Gang fort. Ich wusste, dass es nicht Furcht war, die Gog so still sein ließ. Als Kind ist es schrecklich, zu erfahren, dass jenen, die man liebt und zu denen man aufsieht, Grenzen gesetzt sind. Wenn man herausfindet, dass einen die eigene Mutter nicht schützen kann, der Lehrer einen Fehler macht oder der falsche Weg eingeschlagen werden muss, weil die Erwachsenen nicht die Kraft haben, den richtigen zu nehmen … Jeder dieser Momente stiehlt ein Stück von der Kindheit. Jeder ist ein Schlag, der ein Stück von dem Kind tötet, das man gewesen ist, und ein weiteres Stück von dem Mann enthüllt, von einem neuen Wesen, das stärker ist, aber auch voller Bitterkeit und Enttäuschung.
Gog verzichtete darauf, seine Fragen zu stellen, weil er mich nicht lügen hören wollte.
Wir kamen zu den Höhlen, die ich bei unserem ersten Besuch so spät gesehen hatte, rümpften die Nase, als wir den Troll-Gestank wahrnahmen, und stapften durch Dunkelheit.
»Ein bisschen Licht, Gog, wenn du so gut sein willst«, sagte ich.
Er öffnete die Hand, und Feuer erblühte darin, als hätte er es die ganze Zeit in der Faust gehalten.
Ich ging voraus, durch den großen Saal der Eingangshöhle, durch den Tunnel mit den glatten Wänden, der etwa fünfzig Meter nach oben führte, zur fast runden Kathedralenhöhle mit den Löchern im Boden und den wie geschliffenen Wänden.
Diesmal kamen die Trolle schnell, ein halbes Dutzend von ihnen – sie schlichen durch die Schatten am Rand von Gogs Feuerschein. Gorgoth stand bereit, um sich mit denen zu messen, die an seiner Kraft zweifelten, aber die Trolle duckten sich und beobachteten uns – vor allem Gorgoth –, ohne anzugreifen.
»Warum sind wir hier?«, fragte Gorgoth schließlich. Ich hatte mich schon gefragt, ob er sein Schweigen nie brechen würde.
»Ich habe meinen Ort gewählt«, sagte ich. »Wenn man gegen einen Löwen antreten muss, so besser nicht in seiner eigenen Höhle.«
»Du hast dir nichts anderes angesehen«, sagte Gorgoth.
»Ich habe hier gefunden, was ich suchte.«
»Und was ist das?«, fragte er.
»Eine schwache Hoffnung.« Ich grinste, ging in die Hocke und
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