König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
wissen
sollte. Katherine ist wie der Schlag an den Kopf, den ich von Orrin von Pfeil bekommen habe. Sie stiehlt mir die Vernunft.
»Hanna ist hier bestattet.« Sie zeigt auf ein Grab. Ihre Hand ist sehr weiß und zittert nicht.
»Hanna?«, frage ich.
Ein Schatten fällt auf ihr Gesicht, und die grünen Augen blitzen.
»Die Alte, die versucht hat, mich zu erdrosseln?«, frage ich und erinnere mich an ein violettes Gesicht, von grauem Haar umrahmt, meine Hände unter ihrem Kinn.
»Das. Hat. Sie. Nicht!«, sagt Katherine, aber jedes Wort ist leiser als das vorhergehende. Die Überzeugung verlässt sie. »So etwas würde sie nicht tun.«
Aber sie hat es getan, und das weiß Katherine.
»Du hast Galen getötet«, sagt sie, noch immer mit dem Blitzen in den Augen.
»Das stimmt«, räume ich ein. »Aber er war kurz davor, mir sein Schwert in den Rücken zu bohren.«
Das kann sie nicht leugnen. »Zum Teufel mit dir«, sagt sie.
»Du hast mich also vermisst?« Ich lächele, denn ich freue mich, sie wiederzusehen, die gleiche Luft zu atmen wie sie.
»Nein.« Aber ihre Lippen zucken, und ich weiß, dass sie an mich gedacht hat. Ich weiß es und bin absurd glücklich darüber.
Sie wirft den Kopf zurück, dreht sich um und geht langsam, wie auf der Suche nach ihren Gedanken. Ich beobachte die Wölbung ihres Halses. Sie trägt Reitkleidung aus Leder und Samt, in gedämpftem Braun und Grün. Der Sonnenschein findet hundert Rottöne in ihrem gewickelten Haar. »Ich hasse dich«, sagt Katherine.
Besser als Gleichgültigkeit. Ich folge ihr, komme näher.
»Himmel, du stinkst«, sagt sie.
»Das hast du auch bei unserer ersten Begegnung gesagt«, erwidere ich. »Wenigstens ist es ein ehrlicher Gestank von der Straße. Pferd und Schweiß. Ein besserer Geruch als der von Hofintrigen. Wenigstens für meine Nase.«
Sie riecht nach Frühling. Ich bin ihr jetzt nahe, und sie geht nicht mehr von mir fort. Ich bin ihr nahe, und es gibt eine Kraft zwischen uns, sie prickelt auf meiner Haut, unter den Wangenknochen, sie juckt mir in den Fingern. Das Atmen fällt mir schwer. Ich will sie.
»Du willst mich nicht, Jorg«, sagt Katherine, als hätte ich die Worte gesprochen. »Und ich will dich nicht. Du bist nur ein Junge, und ein böser obendrein.« Sie presst die Lippen zusammen, aber sie bleiben voll, werden nicht zu einer dünnen Linie.
Ich sehe die Kurven ihres Körpers und begehre sie mehr, als ich jemals etwas begehrt habe – und es gibt viele Dinge, nach denen es mich verlangt. Ich kann nicht sprechen. Meine Hände streben ihr entgegen, und ich muss sie zwingen, zu verharren.
»Warum solltest du überhaupt an der Schwester einer ›Scorron-Hure‹ interessiert sein?«, fragt Katherine, und die Falten kehren in ihre Stirn zurück.
Das entlockt mir ein Lächeln, und ich kann wieder sprechen. »Was? Ich muss jetzt vernünftig sein? Ist das der Preis dafür, erwachsen zu werden? Er ist zu hoch. Wenn ich die Frau, die meine Mutter ersetzt hat, nicht abscheulich finden darf, wenn mir kindische Schmähungen verboten sind … Dann, so muss ich sagen, ist mir der Preis zu hoch.«
Erneut zucken ihre Lippen in der Andeutung eines Lächelns. »Ist meine Schwester eine Hure?«
»Ehrlich gesagt habe ich keine Hinweise, die dafür oder dagegen sprechen«, sage ich.
Katherine lächelt ein kurzes, knappes Lächeln, wischt sich
die Hände an ihrem Gewand ab und sieht zu den Bäumen, wie auf der Suche nach Freunden oder Feinden.
»Vernünftig würdest du mich nicht wollen«, sage ich.
»Ich will dich überhaupt nicht«, sagt sie.
»Es sind nicht die Vernünftigen, die der Welt Form geben«, füge ich hinzu. »Die Welt ist ein Dieb, ein Betrüger, ein Mörder. Um in ihr zu bestehen, muss man sie übertreffen.«
»Ich sollte dich wegen Hanna hassen«, sagt Katherine.
»Sie hat versucht, mich zu töten.« Ich gehe zu dem Grab, auf das Katherine gezeigt hat. »Soll ich mich bei ihr entschuldigen? Ich kann mit den Toten sprechen, weißt du.«
Ich bücke mich und pflücke eine Glockenblume, eine Blume für Hannas Grab, aber der Stängel verwelkt in meiner Hand, und aus dem Blau wird Schwarz.
»Du solltest tot sein«, sagt Katherine. »Ich habe die Wunde gesehen.«
Ich ziehe das Hemd hoch und zeige es ihr. Die dunkle Linie dort, wo sich mir die Klinge meines Vaters in den Leib gebohrt hat, die finsteren Wurzeln, die von jener Stelle ausgehen und mein Fleisch durchdringen, bis zum Herz reichen.
Katherine bekreuzigt sich, ein
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