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König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)

König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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mit zwei mächtigen Flügelschlägen auf den Boden hinab kam. Er blieb unmittelbar vor den Dreien stehen und blickte Raphael ernst an.
    „Mir scheint, es war gut, dass ich nach unserer letzten Begegnung Stratton Hall beobachtet habe. Was tun all die Toten hier?“, fragte er. „Man könnte meinen, sie warten auf den Tag des Jüngsten Gerichts.“
    „Das tun sie allerdings“, warf Michael ein. „Sie sind von einer unbekannten Stimme hierher gerufen worden. Wer immer hinter all dem hier steckt, hat ihnen das Ende ihrer Zeit in der Hölle versprochen.“
    Turiel zog eine Augenbraue hoch. „Der kleine Mensch kann mich ja sehen! Von Eleanor habe ich das ja erwartet…“, er wies mit dem Kinn auf das Mädchen. „…aber nun betrifft es noch andere?“
    Er sah Raphael streng an.
    „Lilith hat ihn berührt und ihm ein wenig von ihrem Feuer gegeben“, erklärte dieser. „Gerade eben so viel, dass er unsere Welt nun sehen kann.“
    Turiel verzog zornig das Gesicht. „Was fällt diesem Weib ein? Will sie uns alle verraten?“
    „Sie tat es, um Unfrieden zwischen mir und Eleanor zu stiften. Und beinahe wäre ihr das gelungen.“
    Mit kritischem Blick musterte Turiel Michael. Dieser hielt dem Blick stand, wenn auch mit Mühe. Schließlich nickte Turiel anerkennend.
    „Gut, dann soll es so sein“, meinte er nachdenklich. Er wandte sich wieder Raphael zu. „Eine Stimme sagst du? Und sie hat den Verdammten den Tag des Jüngsten Gerichts versprochen? Wie soll das gehen? Der Tag des Jüngsten Gerichts geht von Gott aus und von ihm allein. Wer kann solche Versprechen geben?“
    Raphael zuckte die Schultern. „Das herauszufinden sind wir hier.“
    Turiel blickte sich finster um. Das Lichtermeer der Seelen wogte um sie herum, unablässig vom Rauschen, Wispern und Flüstern tausender Toter untermalt.
    „Sieh sie dir an, dieses Ungeziefer, diesen Abschaum“, zischte er angewidert. „Da jammern sie um ihre Erlösung, dabei hätte ein jeder von ihnen es hundertfach verdient, bis in alle Ewigkeit in den Feuern der Hölle angekettet vor sich hinzuvegetieren.“
    Michael schnaubte bei diesen Worten bitter auf, doch er sagte nichts. Turiel indes hatte es dennoch wahrgenommen und fuhr mit einem giftigen Gesichtsausdruck um.
    „Siehst du das etwa anders, Menschlein?“, fauchte er. „Du bist privilegiert, da du die Gnade empfangen hast, einen Blick in unsere Welt werfen zu dürfen. Aber ein Engel bist du nicht. Maße dir nicht an, über uns urteilen zu dürfen.“
    „Würde mir im Traum nicht einfallen“, murmelte Michael zu sich selbst. Er zwinkerte Eleanor heimlich zu und dankte Gott dafür, dass seine Engel zu weltfremd waren, um Sarkasmus zu erkennen. Turiel warf ihm noch einen verächtlichen Blick zu, beschloss dann aber offensichtlich, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
    „Was machen wir jetzt, Raphael?“, fragte er stattdessen.
    In genau diesem Augenblick wogte eine deutliche Unruhe durch das geisterhafte Lichtermeer auf dem Friedhof von Stratton. Die Stimmen der Toten schwollen zu einem unangenehmen Crescendo an, ein Grollen rollte über den Himmel, gleich einem Donner, der keinen Blitz gehabt hatte. Dann erklang das unverwechselbare Rauschen riesiger Flügel, das sich von Westen näherte. Der Engel des Jüngsten Gerichts war endlich gekommen.
    Die zwei Engel, ebenso wie die zwei Menschen, blickten hinauf, doch zunächst war in den Gewitterwolken nichts zu erkennen. Plötzlich jedoch ließ ein Blitz die schwarzen Wolkentürme zu ihren Köpfen aufleuchten und die Silhouette eines mächtigen Flügelpaares zog über sie hinweg.
    „Er hatte schon immer einen Sinn für das Theatralische…“, merkte Turiel trocken an.
    „Du weißt, wer es ist?“, fragte Michael, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden.
    Turiel warf einen geringschätzigen Seitenblick auf ihn. „Aber ja, Menschlein. Das ist Asasel. Wer sonst wäre so größenwahnsinnig, das Ende der Welt selbst herbeizurufen?“
    Ein letztes Mal zog der Engel über ihnen eine Runde über den Friedhof, dann hielt er auf die Kirche zu und landete direkt auf dem Dach des Kirchenschiffs. Noch immer konnten weder Michael noch Eleanor die Gestalt sicher erkennen. Die Sonne musste mittlerweile untergegangen sein, denn das Gewitter war noch finsterer geworden.
    Abertausende von Totenlichtern strebten nun wie in Wellen auf die Kirche zu, an den Ort, wo ihr vermeintlicher Erlöser auf sie wartete. Der Engel auf dem Dach ließ das Feuer in seinem Innern hell auflodern und

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