König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
heute nicht, dass er sich des Weines hätte enthalten müssen, um für den Dienst am Tempel rein zu bleiben. Ohnehin war es ein offenes Geheimnis, dass er dem Alkohol nur allzu gern zusprach. Man sah es seinen blutunterlaufenen Augen ebenso leicht an, wie der roten, knolligen Nase. Allerdings stammte er aus einer altehrwürdigen Familie. Er war reich und mächtig. Niemand hatte es bislang gewagt, seine Eignung für das Amt des Hohenpriesters in Frage zu stellen. Nicht zuletzt hätte ihm das Spionagenetz, welches er im Laufe der Jahre aufgebaut hatte, sofort Informationen über etwaige Verschwörungen gemeldet. Der römische Statthalter Pontius Pilatus war nicht der einzige, der sich gegen Aufruhr absicherte.
Kajafas stellte den Becher hinter einige Papyrusrollen, als es an seiner Tür klopfte.
„Herein!“, blaffte er ungehalten. Sein Sekretär trat schweigend ein, verbeugte sich kurz und kam dann auf ihn zugeeilt.
„Was gibt es, Eljoënai?“, fragte Kajafas unfreundlich. Ihm war jetzt nicht nach den üblichen Unwichtigkeiten seines Untergebenen.
„Herr, es sind üble Dinge in der Stadt im Gange“, begann der Angesprochene. Beim Herrn und allen seinen Engeln, wie gern Kajafas diesen kleinen Schleimer jetzt losgeworden wäre. Er verdrehte sie Augen und zwang sich zu einem einladenden Lächeln, während er an seinen Wein dachte.
„Üble Dinge? Was meinst du damit?“
„Herr, ich habe euch doch vor einigen Wochen von diesem Wunderheiler aus Galiläa erzählt. Diesem Jeshua.“
„Ja. Und?“
„Er ist heute Morgen in die Stadt gekommen.“
„Warum sollte das wichtig sein?“
„Er ist nicht allein gekommen. Mit ihm waren sicher an die zweitausend Pilger, die ihn als Messias verehren…“
Die letzten Worte des Sekretärs verklangen im Raum. Eine unangenehme Stille folgte ihnen.
„Messias?“, knurrte Kajafas. „Das wird Pilatus gar nicht schmecken. In drei Tagen ist Passah-Fest. Dann wird die Stadt aus allen Nähten platzen. Tausende von Gläubigen werden hier sein um im Tempel zu opfern und zu beten. Wenn hier plötzlich irgendwelche selbsternannten Propheten auftauchen, kann die Situation schnell im Chaos enden. Das jüdische Volk läuft doch jedem hinterher, der ihnen Freiheit von den Römern verspricht.“
Eljoënai verbeugte sich zustimmend. Er würde einen Dreck tun und seinem Meister in dieser Situation etwas Beruhigendes sagen. Fiele Kajafas, fielen auch alle seine Männer. Das wäre auch sein eigenes Ende.
„Verhaftet diesen Mann und schafft ihn beiseite“, befahl der Hohepriester, nachdem er kurz nachgedacht hatte.
„Das dürfte nicht so einfach sein“, wagte Eljoënai einzuwenden.
„Warum nicht?“, brüllte Kajafas. Er war es nicht gewohnt, dass man seine Befehle in Frage stellte.
„Jeshua ist mit einer großen Pilgerschar hier … wie ich schon sagte“, erläuterte Eljoënai. „Zudem hat er sich gleich heute in den Tempel begeben um zu lehren und zu predigen. Am Ende des Nachmittags hatten sich seine Gefolgsleute mindestens verdoppelt. Wenn man ihn im Tempel inmitten der Gläubigen verhaftet, könnte es einen Aufruhr geben.“
„Dann folgt ihm eben und verhaftet ihn, wenn er allein ist.“
„Dazu müssten wir nahe genug an ihn herankommen. Um ihn außerhalb der Öffentlichkeit zu verhaften, bräuchten wir einen Verräter innerhalb seines innersten Zirkels. Jemanden, der uns einen günstigen Ort und Augenblick verrät. Nur dann können wir mit einer kleinen, unauffälligen Einheit zuschlagen.“
„Dann sucht einen solchen Verräter und bringt ihn mir.“
Eljoënai verbeugte sich tief und verließ den Raum. Er würde dem Auftrag seines Herrn Folge leisten und alles Notwendige in die Wege leiten. Mit Grauen erinnerte er sich an die Niederschlagung des letzten Aufstandes, der vom Tempel ausgegangen war. Damals waren mehr als dreitausend Gläubige von den Römern abgeschlachtet worden, als die Tore der Festung Antonia geöffnet wurden und die Legionäre über den Tempel herfielen. Den Anblick der riesigen Blutlachen auf den gepflasterten Höfen des Tempels, die Schreie der Verletzten und den grausigen Anblick der verstümmelten Leichen würde er sein ganzes Leben lang nicht vergessen. Sie hatten sich in sein Gedächtnis eingebrannt und blieben dort als klaffende Wunde in seiner Seele. Er würde nicht zulassen, dass sich etwas derartiges noch einmal ereignen konnte. Um wie viel besser war es da, einige wenige oder auch nur einen einzigen zu opfern, wenn man dafür die
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