König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
wirkte schmutzig und ungepflegt.
„Du kommst hier nicht rein“, rief Longinus ihn schon von Weitem an und fasste den Schaft seines Speeres fester. „Irre wie du können gleich draußen bleiben.“
Doch der Angesprochene schleppte sich weiter auf das Stadttor zu, Schritt für Schritt, als stünde er unter einer großen Last.
Longinus richtete seinen Speer auf den Mann. „Halt hab ich gesagt!“, rief er. „Abschaum wie du kommt heute nicht in die Stadt.“
Er blickte sich vorsichtig um, doch um diese Zeit waren noch keine weiteren Reisenden auf der Straße zur Stadt unterwegs. Niemand bekam mit, was hier gerade geschah. Zumindest hatten zwei seiner Kameraden die Rufe gehört und kamen nun bedächtig herbei geschlendert, die Daumen im Gürtel und den Gladius an der Seite hängend.
„Marcus“, rief einer der beiden grinsend. „Kommst du mit dem Penner nicht klar? Was will er denn?“
„Ich weiß es nicht“, rief Longinus über die Schulter zurück. „Aber wenn er mir zu nahe kommt, steche ich ihn ab wie ein Schwein.“
„Bitte, ihr müsst mich anhören“, weinte der Fremde plötzlich.
Die beiden römischen Legionäre hatten mittlerweile Longinus erreicht und so standen die drei nun völlig perplex da und staunten den fremden Juden an, der vor ihnen zu stehen kam und in Tränen ausbrach.
„Was willst du?“, fragte einer von ihnen misstrauisch.
„Ich… ich muss mit dem Hohenpriester Kajafas sprechen“, jammerte der Fremde kraftlos. „Es geht um die Sicherheit Jerusalems. Ich habe Informationen, die er hören muss…“
Die Legionäre sahen einander an. Dann griffen die beiden Neuankömmlinge Juda Iskariot grob unter die Arme und bugsierten ihn in die Stadt. Mochte man sich dort mit ihm befassen.
Longinus sah sich noch einmal um, ob auch wirklich niemand etwas von dieser Szene mitbekommen hatte. Unerwünschte Zuschauer konnten in diesen Tagen das ganze Land hochgehen und in Anarchie versinken lassen. Dann nahm er die Straße wieder unter Beobachtung. Dieses judäische Pack würde er nie verstehen. Wie gern wäre er jetzt in Italien…
„Warum willst du deinen Herrn verraten?“, fragte Eljoënai. Er ging misstrauisch um Juda herum, der wie betrunken in der Mitte des Raumes stand und hin- und herwankte. Er schien seine Umwelt kaum wahrzunehmen und wirkte vollkommen weggetreten.
„Kannst du nicht reden?“, schnauzte Eljoënai.
Juda zuckte zusammen. „Ich habe mich mit ihm gestritten“, stammelte er, ohne aufzusehen. „Jetzt ist er nicht mehr mein Herr.“
Eljoënai horchte auf. Die Anhängerschaft des rebellischen Propheten war also keineswegs einig. Es gab Strömungen, Unstimmigkeiten und offenbar Rivalitäten. Er lächelte, als er an die Möglichkeiten dachte, die sich dadurch auftaten. Vielleicht war dieser Juda tatsächlich die Waffe, mit der sie Jeshua das Genick brechen konnten.
„Und jetzt willst du dich rächen“, stellte er fest.
Juda Iskariot nickte, vielleicht ein wenig zu eilig und zu beflissen. Der Sekretär des Hohenpriesters konnte sich keinen Reim auf ihn machen. Er wirkte wie jemand, der gegen seinen Willen hierhergekommen war. Aber zu welchem Zweck?
Wenn hinter all dem eine Falle steckte, was mochte die andere Seite dann für Ziele verfolgen? Vielleicht kämen die Häscher des Hohenpriesters in das Lager der Messias-Jünger und liefen dort direkt in einen Hinterhalt. Wenn die Verhaftung unter den Pilgern bekannt würde, könnte es einen Aufstand geben. Vielleicht spekulierten Jeshua und seine Männer genau darauf, um eine Revolte loszutreten, die die Römer aus dem Land treiben sollte.
Andererseits… dieser Juda war offensichtlich emotional aufgewühlt und verwirrt. Er wusste scheinbar nicht einmal, was er da tat. Er mochte sich unwohl fühlen und wusste vielleicht sogar, dass er etwas Falsches tat. Und dennoch war sein inneres Verlangen danach, Jeshua ans Messer zu liefern, größer als die Loyalität, die er zweifelsohne noch in sich fühlte. Ein Verräter wäre ruhiger, ausgeglichener und vor allem berechnender. Er wäre nicht so voll Seelenqualen wie dieser Juda.
‚Mein Gott“, dachte Eljoënai fasziniert. ‚Wie sehr muss Jeshua ihn enttäuscht haben. Wie sehr muss er ihn verletzt haben.“
„Was willst du dafür haben, wenn du uns Jeshua auslieferst?“, fragte er.
Juda blieb stumm. Auf diese Frage wusste er nichts zu sagen. Dann hatte Eljoënai also richtig vermutet. Juda war nicht geldgierig. Er war kein Machtmensch, war nicht einmal zornig.
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