Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
Vom Netzwerk:
Den ganzen Tag über läuteten überall in der Stadt die Glocken, und so viele Menschen drängten herbei, die Heiligen zu sehen, dass weder die große Kirche noch der weite Platz vor ihr ausreichten, sie alle aufzunehmen.
    Rainald von Dassel hielt sich fern der Feierlichkeiten und eilte mit kleinem Gefolge dem Kaiser zu Hilfe. An seiner Seite ritt ein schwarzer Mönch, der nur selten sprach und von allen gemieden wurde.«

     
    AM RHEIN NAHE MUNHEIM, AM VIERTEN JANUAR 1189
     
     
    Die Stimme des Alten war heiser geworden. Es hatte Ingerimm große Mühe gekostet, während des Schneetreibens zu reden. Oft machten sie Pausen, und er unterbrach seine Erzählung für eine Stunde oder länger. Am späten Nachmittag begann er zu husten.
    Mehrfach hatte Hartmann versucht, Ingerimm dazu zu überreden, seine Geschichte auf den Abend zu verschieben und sich zu schonen, doch sein Weggefährte war nicht zu überzeugen gewesen.
    Den ganzen Tag über hatte das Schneetreiben angedauert. Sie passierten einige Dörfer, doch Ingerimm war nicht gewillt, an einem der Orte zu verweilen. Er schien wie besessen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Als es zu dämmern begann, waren auch die Pferde mit ihren Kräften am Ende.
    Ingerimm sah zum Fürchten aus. Der Schnee auf seiner Maske war angetaut und dann wieder gefroren, so dass sie nun wie mit geschmolzenem Glas überzogen wirkte. Ihre Umhänge waren so steif vom Frost, dass sie sich nicht mehr im Wind bewegten.
    Gleichgültig, wie lange der Alte noch reiten mochte, Hartmann würde beim nächsten Haus, das sie erreichten,
um Nachtquartier bitten. Und wenn es um den Preis war, nicht das Ende der Geschichte zu hören. Sie war ohnehin immer unglaubwürdiger geworden! Wer sollte dieser schwarze Mönch sein? Hartmann dachte an die Klingenhand Ingerimms. War er es? Oder wollte er als der Mönch erscheinen? Und woher kam der geheimnisvolle Geistliche? War es Heinrich? Angeblich hatte man ihn doch in einem Tal in Galiläa begraben? Und Zenon lag im Grab des dritten Königs. Ein Ort wie ein Kerker, der schon einmal einem Mönch, der dort gefangen saß, zum Verhängnis geworden war! Zu verworren und unglaubwürdig erschienen Hartmann die Fäden der Geschichte, und das Bestreben des Erzählers, sich selbst zu einer der Figuren zu machen, wirkte nachgerade lächerlich.
    »Dort drüben liegt unser Ziel für diese Nacht.« Ingerimm deutete auf einen niedrigen Hügel, nicht weit vom Fluss. Im Schneetreiben war das jenseitige Ufer nicht zu erkennen, doch funkelten dort matte Lichter.
    Im Windschatten des Hügels, geschützt vor der schlimmsten Wut des Sturms, lag ein großes Bauernhaus. Sein Rieddach war unter schweren Schneewächten verschwunden. Die Fachwerkbalken, die gleich Knochen das Haus trugen, waren von Wind und Wetter so ausgeblichen, als handelte es sich tatsächlich um Gebein. Vor den Fenstern hingen grob gezimmerte Holzläden, durch die kein Lichtstrahl nach außen drang. Aus dem Rauchfang unter dem Giebel stieg grauer Qualm, der, kaum dass er das schützende Dach verließ, vom wütenden Sturmwind davongetragen wurde.
    Der Gedanke an ein wärmendes Feuer ließ Hartmann nur noch mehr frieren. Ingerimm schwang sich aus dem Sattel und klopfte an die niedrige Tür. Im Haus schlug ein Hund
an. Eine junge Frau öffnete. Sie winkte den unheimlichen Besucher herein, als sei er ihr ein vertrauter Bekannter.
    Wie sich herausstellte, war Ingerimm tatsächlich schon oft in dem Bauernhaus zu Gast gewesen. Man empfing sie freundlich, machte ihnen Platz am Feuer und reichte ihnen zwei große Schüsseln mit Fischsuppe. Sogar vorgewärmte Decken lagen für sie bereit, als sie sich an der Feuerstelle niederließen.
    Verwundert musterte Hartmann die Familie. Sieben Kinder und etliche Erwachsene bevölkerten das Haus. Und niemand schien vor Ingerimm Furcht zu empfinden! Hatte er ihr Kommen angekündigt? Der Ritter merkte, wie man ihn beobachtete. Obwohl er allen Grund gehabt hätte, die warme Stube zu genießen, spürte er Zorn in sich. Er beugte sich zu seinem Reisegefährten und flüsterte: »Ich glaube kein Wort von Eurer Geschichte. Sie ist verworren, und es gibt einen schlagenden Beweis dafür, dass Ihr lügt.«
    Der Alte hob den unteren Zipfel seiner Maske und führte den breiten Holzlöffel zum Mund, um seine Suppe zu schlürfen. Er verfuhr dabei so geschickt, dass es Hartmann nicht gelang, einen Blick auf das Gesicht zu erhaschen. Die Gelassenheit, mit der Ingerimm aß, reizte Hartmann bis zur Weißglut.

Weitere Kostenlose Bücher