Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
lächelte väterlich und streckte ihm die Hand entgegen.
Rother versuchte dem Blick des Erzkanzlers auszuweichen. Was sollte er nur tun? Rainald von Dassel war einer der ranghöchsten Fürsten des Reiches, und jedermann wusste, dass er der Vertraute des Kaisers war. Obendrein war er auch noch Rothers Lehnsherr!
»Wenn der Knappe den Brief persönlich abgeben soll, so wird es gewiss möglich sein, eine Audienz bei meinem Bruder zu erhalten. Ich werde mich persönlich dafür einsetzen, dass der Junge noch in der nächsten Stunde bei ihm vorsprechen kann«, erklärte der Pfalzgraf Konrad.
Rother traute seinen Ohren nicht. Ausgerechnet Konrad trat für ihn ein! Dessen Lehnsmann ihn gerade noch dem Henker übergeben wollte. Daraus konnte nichts Gutes erwachsen!
»Es ist nicht nötig, den Kaiser mit solchen Kleinigkeiten zu behelligen«, entgegnete Rainald in eisigem Tonfall. Er wandte sich zum Pfalzgrafen, und die beiden maßen einander mit kalten Blicken; dann schaute der Erzbischof wieder Rother an.
Einen Herzschlag lang zögerte Rother noch, schließlich griff er unter sein Hemd und zog die Dokumentenrolle hervor. Welche Wahl blieb ihm schon? Gegen den Lehnsherrn seines Vaters aufbegehren, dem seine Familie die Treue geschworen hatte? Das war unmöglich! Er kniete vor seinem Fürsten nieder und hielt Rainald die Nachricht hin.
Unter Konrads argwöhnischem Blick nahm der Fürsterzbischof die Lederhülle und zerbrach das Siegel. Flüchtig überflog er die Zeilen und schüttelte dabei ärgerlich den Kopf. Es war totenstill im Zelt. Nur das schwere, rasselnde Atmen der alten Kammerfrau, die mit einem Tablett voller Weinpokale erschienen war, störte die Stille.
»Nun, was wollen die Mailänder?«, fragte der Pfalzgraf. In seiner Stimme klang nur mühsam beherrschte Neugier.
Rainald legte den Brief neben sich auf den Tisch. »Das Angebot ist völlig …«
Ein halberstickter Schrei ließ Rother erschrocken herumfahren. Maria, die alte Kammerfrau, hielt beide Hände auf die Brust gepresst. »Hilf … Oh, heilige Jungfrau …« Ihre Stirn glänzte vor Schweiß. Eine breite Strähne hatte sich aus ihrem stets so ordentlich frisierten Haar gelöst und klebte ihr im Gesicht.
»Bei allen Heiligen, was hast du Weib? Sprich!«, forderte Konrad sie auf. Die übrigen Männer waren zurückgetreten, als fürchteten sie sich ein Fieber zu fangen, wenn sie ihr zu nahe kamen. Maria stand nun mitten im Zelt. Ihre Augen schienen ihr schier aus dem Schädel treten zu wollen.
»Ich …« Der Atem der Alten ging pfeifend. Jedes Wort schien ihr nur unter Qualen von den Lippen zu kommen. »Mein Herz …« Ihre Finger krallten sich in ihr Kleid. »… von eiserner Hand … umschlossen … Ich …« Sie machte noch einen taumelnden Schritt nach vorne und stürzte dann schwer auf den Tisch. Zwei Pokale fielen zu Boden. Der schwere Krug kippte um, und Wein ergoss sich über die Nachricht, die Rainald eben erst auf den Tisch gelegt hatte.
Anno war als Erster an der Seite der Kammerfrau. »Maria!« Er hob sie vorsichtig auf die Arme. Wein troff aus ihren Kleidern wie Blut. Sie hatte die Augen zur Zeltkuppe verdreht. Ihre Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Sie schien um jeden Atemzug kämpfen zu müssen.
»Bringt das Weib fort«, befahl der Erzbischof und barg die Dokumente aus der Rotweinlache. Dann hob er einen
der Weinpokale auf und roch daran. »Gift«, sagte er und blickte die umstehenden Ritter an. »Die Alte hat von dem vergifteten Wein getrunken, der einem von uns bestimmt war.«
Ludwig wandte sich ab und lief zum Zelteingang. Mit einem lauten Ruf befahl er zwei Wachen des Erzbischofs herbei.
Pfalzgraf Konrad trat neben den Erzbischof und nahm ihm den Weinpokal aus den Händen. Jetzt roch auch er an dem Wein. »Mir scheint, werter Herr von Dassel«, sagte er, »Ihr habt nicht allzu viele Freunde hier im Lager. Ihr solltet einen Vorkoster einstellen, damit Euch solche Überraschungen nicht eines Tages das Leben kosten.«
Rainald gab ein schnaubendes Geräusch von sich, aber der Pfalzgraf fuhr ungerührt fort. »Doch was ist mit dem Schreiben an den Kaiser? Ist es zerstört?«
Mit spitzen Fingern hob der Erzbischof den Brief vom Tisch. Nun erst sah Rother, wie blass er geworden war. »Ich fürchte, der Brief ist unlesbar geworden.« Dann zuckte er mit den Schultern. »Es war ohnehin nicht das Pergament wert, auf das es geschrieben stand!«
Pfalzgraf Konrad griff nach dem aufgeweichten Pergament. Kurz bemühte er sich,
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