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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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sind wir hochentwickelt, vielleicht höher, als Sie wissen können. Wir gehen jetzt.«
    Sie nahm ihren Koffer. Er nahm ihn ihr mit einigem Kraftaufwand ab und folgte ihr durch den Flur. Sie kamen an Jean-Claude und Roselle vorbei, die mit steinernen Mienen und verschränkten Händen im Eßzimmer standen. »Vielen Dank«, sagte Mary zu ihnen und nickte ihnen freundlich lächelnd zu. Sie schienen unter Schock zu stehen. Jean-Claudes Nasenflügel bebten.
    »Wir gehen jetzt«, wiederholte Soulavier.
    Mary steckte die Hand in die Jackentasche. »Kommen die beiden mit?« fragte sie.
    »Roselle und Jean-Claude bleiben hier.«
    »In Ordnung«, meinte sie. »Wenn Sie es sagen.«

 
50
     
    Sich auf die Wiese vor dem IPR zu setzen und zu essen würde nicht ratsam sein. Außerdem kam eine kühle Brise vom Meer herein. Carol und Martin verließen das Institut durch den Dienstboteneingang auf der Rückseite, gingen zwischen Betonwänden hindurch und nahmen einen schmalen Asphaltweg zu den Wäldern hinter dem Gebäude. Martin betrachtete Carols Rücken, als sie vor ihm zwischen den Eukalyptusbäumen hindurchging. Sie hatte einen Beutel mit Sandwiches und zwei Biertüten dabei. Er trug eine Stranddecke. Sie trat beiläufig und anmutig nach ein paar Blättern auf dem Weg, warf einen Blick über die Schulter und sagte: »Ich befehle dir, ein paar Minuten lang nicht an die Arbeit zu denken.«
    »Ganz schön viel verlangt«, erwiderte er.
    »Da müßte eigentlich noch… Da ist es«, sagte sie triumphierend und zeigte hin. Ein freier Platz zwischen den Bäumen, bedeckt von trockenem, nicht gemähtem Gras. Diese Fläche lag jenseits der Grenzen des Gebiets, das von den IPR-Gärtnern kontrolliert wurde.
    Sie verließen den Weg und breiteten die Stranddecke in kooperativem Schweigen auf dem Gras aus. Sie setzten sich gleichzeitig hin, und Carol packte die Sandwiches aus.
    Die Meeresbrise war ihnen gefolgt. Kühle Böen wehten durch die hohen, schlanken Bäume. Sie waren nur leicht bekleidet, und Martin merkte, wie er an den Armen eine Gänsehaut bekam. Er schaute ein bißchen beklommen zu den nahen Ästen hinauf; sie würden bestimmt herunterfallen, wenn sie belastet wurden. »Ich schaff’s nicht«, sagte er grinsend.
    »Was?«
    »Nicht an die Arbeit zu denken.«
    »Hab ich eigentlich auch nicht erwartet«, sagte sie.
    »Aber es ist trotzdem nett hier draußen. Eine Abwechslung.«
    »Na, was meinst du, warum ich dich hierher geschleppt habe?« fragte sie.
    »Du hast mich hergeschleppt?« sagte er, biß in das Sandwich und schaute grüblerisch zu ihr hoch. »Du willst mich verführen.«
    »Wir werden bald noch viel intimer miteinander sein als das«, rief sie ihm ins Gedächtnis.
    Er nickte und tauschte seine sinnierende Miene gegen einen pragmatischen Gesichtsausdruck aus. »Wir sind hier, um die Dinge zu klären, bevor wir reingehen.«
    »Stimmt.«
    »Ich bin dreimal mit dir gereist. Wir passen in der Landschaft sehr gut zusammen.« Er machte ihre Biertüte auf und reichte sie ihr.
    »Ja«, stimmte sie zu. »Vielleicht zu gut.«
    Er dachte einen Moment lang darüber nach. »Eisläufer. Ich kenne da ein Ehepaar, beides Eisläufer. Sie sind außerhalb des Eises genauso miteinander verbunden, wie wenn sie auf dem Eis arbeiten.«
    »Das ist toll«, sagte Carol.
    »Ich dachte immer, wir könnten das auch hinkriegen.«
    Sie lächelte beinahe schüchtern. »Na ja. Wir haben’s probiert.«
    »Weißt du, diese Eisläufer, das sind unheimlich nette Leute, aber nicht besonders helle. Vielleicht sind wir schlauer, als uns guttut.«
    »Ich glaube nicht, daß es daran liegt«, meinte Carol.
    »Woran dann?«
    »In unserem tiefsten Innern mögen wir uns gern«, sagte sie. »Ich hab sowas noch nie mit einem anderen Menschen erlebt… Natürlich bin ich auch noch nie mit einem anderen als dir in die menschliche Landschaft gegangen. Das Problem ist, daß es bei uns zu viele Überlagerungen zwischen unseren Persönlichkeiten in der Landschaft und denen gibt, die wir jetzt vor uns sehen. Hier draußen.«
    Darüber hatte Martin schon oft nachgedacht, und er hatte immer versucht, Argumente dagegen zu finden. Daß Carol zur selben Schlußfolgerung gekommen war, machte ihn traurig. Das hieß, daß es wahrscheinlich die Wahrheit war.
    »In einem Traum…« setzte sie an und hielt dann inne, um noch einmal von ihrem Sandwich abzubeißen. »Hast du schon mal einen Traum mit einer so starken, so echten Emotion gehabt, daß du im Traum angefangen hast zu weinen?

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