Königin der Engel
zugezogenen Vorhängen vor dem Fenster hinüber. »Laß uns rausgehen, ein bißchen Sonne suchen, Dick. Wo immer wir welche finden können. Reines helles, weißes Licht.«
Richard fühlte Tränen auf seinen Wangen.
– Vollständig. Nicht das kleinste Detail fehlt.
»Na los, Mann«, ermutigte ihn Goldsmith sanft. »Rede.«
Richard wischte sich die Wangen ab. »Ich hab sie wirklich geliebt. Ich konnte nicht mit ihr zusammenleben, aber ich hab sie geliebt. Und Gina… Gott, ich glaube, ich hab noch nie was auf der Welt so geliebt wie dieses Mädchen. Da ist ein großer Krater, Emanuel.« Er tippte sich an den Kopf. »Eine Bombenexplosion. Ich bin nicht ganz da.«
»Blödsinn.«
»Nein, wirklich. Ich kann nichts tun. Ich kann nicht denken, ich kann nicht vernünftig reden, ich kann nicht schreiben. Ich kann nicht weinen.«
»Du weinst doch grade, Mann. Sieh das nicht falsch. Kummer heißt nicht, daß du deine Seele verlierst. Du hast immer noch alles. Du bist ein Fels.«
Das Schluchzen begann als Muskelkrampf tief in seinem Innern. Es arbeitete sich nach oben und gewann dabei eine Intensität, die seine Brust in Stücke zu reißen schien, bis er zitternd und stöhnend auf dem Sofa saß und mit ausgestreckten Händen nach etwas griff.
– Fühle es. Schrecklich. Es geht alles wieder von vorn los. Noch schlimmer.
Goldsmith kam zum Sofa, kniete sich vor Richard hin und umarmte ihn ungestüm. Er weinte mit ihm, wiegte sich mit ihm, und seine schwarzen Augen starrten an die Wand hinter Richard. »Du sagst es, Mann. Laß es raus. Sag’s der ganzen beschissenen Welt.«
Das Schluchzen wurde zum Schreien. Goldsmith hielt Richard auf dem Sofa fest, als ob er wegspringen könnte. Er schlug mit Armen und Beinen um sich, spürte die ganze Ungerechtigkeit und den Schmerz und die Notwendigkeit, die Ungerechtigkeit und den Schmerz zu spüren; um seinen Toten die Ehre zu erweisen, mußte er leiden. Würde billig sein und ihren Wert mindern nicht so viel wie nur irgend möglich zu leiden. Goldsmith hielt ihn fest. Schließlich lagen sie umschlungen auf dem Sofa, Richard hielt Goldsmith, Goldsmith lag halb auf, halb neben dem Sofa und hielt Richard immer noch umklammert.
»Fels. Gestein, Mann. Fühl die Kraft in dir. Ich weiß, daß sie da ist. Ich könnte das nicht aushalten. Aber du kannst es, Dick. Gib nicht auf.«
»In Ordnung«, stöhnte Richard. »In Ordnung.«
»Wir lieben dich, Mann. Halt dich daran fest.«
– Goldsmith. Der echte.
Goldsmith ließ ihn los, und sein Haar war grau, sein Gesicht von Falten durchzogen. »Ich bin Lehm. Wenn du um mich trauerst, mein Freund, dann denk daran… Du schuldest mir nichts als das, was du mir gibst, wenn ich am Leben bin. Das ist alles. Schuld beglichen.«
Richard nickte. Schluckte einen schmerzenden Kloß in seinem Hals hinunter. Er hatte genug. Mit einem Ruck riß er sich von der Erinnerung und dem Traum los, spürte einen Druck, als ob er in graue Baumwolle eingezwängt wäre, dann ein simples Driften, Stücke von anderen Träumen wirbelten um ihn herum und fügten sich zusammen, lösten sich wieder auf. Er schlug die Augen auf und setzte sich auf die Bettkante. Zitternd ließ er die Hände über die Knie hängen und beugte sich vor. Neben ihm seufzte Nadine im Schlaf und rollte sich herum.
Richard stand langsam auf und ging zum Fenster.
+ Wie vieles verschüttet. Grab es aus, begrab es erneut. Er hat mir geholfen. War nett zu mir. Ein Freund. Jetzt ist er tot muß es sein. Ich kann seine Ausstrahlung nicht spüren.
Richards Erinnerung an diesen Tag war nicht klar. Der Traum hatte nicht die ganze Geschichte transportiert. Der Schluß fehlte. Goldsmiths Freundin Harriet war ohne anzuklopfen hereingekommen, während Goldsmith und Richard einander auf dem Sofa in den Armen hielten. »Was ist denn hier los?« hatte sie gefragt und eine Kiste mit Lebensmitteln zu Boden fallen lassen. Dann war sie in Tränen ausgebrochen, während Goldsmith zu erklären versuchte, daß Richard und er kein Liebespaar waren. Harriet hatte es nie wirklich verstanden; Goldsmith und sie hatten ihre Beziehung ein paar Wochen später beendet.
Richard zog die Vorhänge auf, rieb sich die Augen und lächelte kopfschüttelnd. Die Sache war Goldsmith höllisch peinlich gewesen.
Er warf einen Blick auf die leuchtenden Zahlen der Uhr auf dem Nachttisch. Drei Uhr. In ein paar Stunden würde die Sonne über den Hügeln aufgehen, und die Combs würden ihr Licht auf die Menschen in ihrem Schatten
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