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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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tippend an einem alten Bildschirmterminal. Er blickte zu dem Dienstmädchen und zu Mary hoch, nickte mit gerunzelter Stirn, schwang mit seinem Stuhl herum und stand auf.
    »Sie werden mit Colonel Sir frühstücken«, sagte er. Die ältere Frau sah Mary mit einem starren, freundlichen Lächeln an. Soulavier sagte etwas auf Kreolisch zu ihr. Sie nickte stumm und machte sich wieder an die Arbeit.
    »Das war Madame Yardleys Mutter«, sagte er, als sie den Rest des Weges allein zurücklegten.
    Mary erinnerte sich, daß sie einen vierstöckigen Turm auf dieser Seite des Gebäudes gesehen hatte. Sie gelangten ans Ende des Flurs, und Soulavier klopfte leise an eine breite Doppeltür aus massivem Mahagoni. Eine gedämpfte Stimme von drinnen befahl ihnen, einzutreten.
    Sechs Männer und zwei Frauen standen in dem hohen, weiten Turmzimmer um einen langen Eichentisch herum. An allen Wänden des Raumes ragte eine prächtige Bibliothek aus reich verzierten Holzregalen mit Bleiglastüren bis zu einer Höhe von neun Metern auf. Zwei Galerien gewährten Zugang zu den oberen Borden. In der Nähe der Tür wand sich eine schmiedeeiserne Treppe wie eine Doppelhelix zu den Galerien hinauf.
    Die beiden Frauen und fünf von den Männern waren Schwarze oder Mulatten; alle trugen schwarze Uniformen, manche hatten sich die Samedi-Figur an die Brust gesteckt. Mary richtete ihre Aufmerksamkeit auf einen hochgewachsenen, stämmigen, weißhaarigen Mann, der am Kopfende des Tisches saß. Er sah sie jedoch nicht sofort an; er war gerade in ein Buch vertieft. Der Tisch war von vielleicht fünfhundert oder sechshundert Büchern aller Arten und Größen bedeckt, von Folianten im Ledereinband bis zu auseinanderfallenden Paperbacks.
    Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie so viele Bücher gesehen. Sie ließ sich durch sie jedoch nicht mehr als einen kurzen Moment von Yardley ablenken. Er blickte von dem Buch auf, das er in den Händen hielt, klappte es leise zu und legte es auf den Tisch. »Schön, Sie wiederzusehen, Henri. Wie geht’s dem kleinen David? Und Marie-Louise?«
    »Es geht ihnen gut, Colonel Sir. Ich möchte Ihnen Lieutenant Mary Choy vorstellen.«
    »Danke. Bitte nehmen Sie Platz. Man wird uns das Frühstück hier servieren. Eine gute Mahlzeit, keine von Madame Yardleys Strafen. Ich hoffe, sie hat Ihnen gestern abend doch noch etwas zu essen gegeben.«
    »Ja, das hat sie getan«, sagte Mary. Yardley lächelte breit und schüttelte mitfühlend den Kopf; so ein netter Mann, schien er sie denken lassen zu wollen, ein richtiger Engländer, und eine durchaus vertraute Erscheinung. Nichts Exotisches hier.
    Mary hielt sich mit ihrem Urteil zurück.
    »Na schön. Ich denke, für heute morgen sind wir fertig«, erklärte Yardley den sieben. Sie verbeugten sich steif, machten kehrt und gingen an Soulavier und Mary vorbei im Gänsemarsch hinaus. Der letzte Mann schloß die Doppeltür hinter ihnen mit einem rätselhaften, schmallippigen Lächeln.
    »Ich habe meiner Frau nachgegeben, wissen Sie«, sagte Yardley. »Wir hatten eine kleine Auseinandersetzung. Sie ist anscheinend der Meinung, daß es meinen Mitteln, diese Nation aus der Barbarei herauszuholen, an… Finesse fehlt.«
    »Sie ist eine bemerkenswerte Frau«, sagte Soulavier, dem eindeutig unbehaglich zumute war. Yardley erwiderte sein Lächeln mit einer Art sonniger Strenge. Soulavier richtete sich merklich auf.
    »Henri, ich glaube, ich komme gut allein mit Mademoiselle Choy zurecht. Bitte gesellen Sie sich zu den anderen im großen Speisesaal unten. Ich lasse heute morgen meinem gesamten Personal ein gesundes Frühstück servieren.«
    »Natürlich, Colonel Sir.« Jetzt war Soulavier an der Reihe, durch die Doppeltür hinauszugehen und sie hinter sich zu schließen.
    »Die Diener werden auf dem Tisch hier Platz machen«, sagte Yardley und fuhr mit einer Hand durch die Luft. »Ich finde, das ist der angenehmste Raum in dem ganzen Gebäude. Ich würde mich mit Freuden für den Rest meines Lebens hierher zurückziehen und Monsieur Bouchers Bücher lesen.«
    Mary sagte nichts.
    »Monsieur Boucher«, wiederholte er, weil er ihren ausdruckslosen Blick als Verwirrung auffaßte. »Sanlouie Boucher. Premierminister des letzten Präsidenten von Haiti, bevor ich die Macht übernahm. Er hat diese wunderbare Villa ein Jahr vor meiner Ankunft bauen und befestigen lassen. Leider ist er in Jacmel festgesetzt worden und hat es nicht mehr bis zu seiner Festung geschafft.«
    Mary nickte.
    »Nun. Was Ihren Fall

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