Koenigin der Meere - Roman
anordnete, welche Segel zu setzen waren, tat Finch dasselbe auf der Pleasure . Die Absprache lautete, im Konvoi in den Hafen von Cabo del Tiburon zu fahren und dort zu ankern. Die Männer wollten sich ein paar Tage amüsieren. Anne plante, die erbeuteten Bücher zu verkaufen. Sie saß im Ausguck und dachte nach.
Es konnte nicht mehr lange dauern, und die Piraten würden Rackham absetzen. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass es an der Zeit war. Ein Kapitän, der sich von morgens bis abends betrank, konnte die Verantwortung für so viele Männer nicht tragen.
Es kam immer wieder vor, dass jemand im Kampf ein Bein, einen Arm, eine Hand oder ein Auge verlor. Wer damit nicht fertig wurde, hatte auf einem Piratenschiff nichts zu suchen. Anne ließ den Blick über das Wasser schweifen. Vor der Neptun segelte mit Kurs auf Hispaniola ein französisches Handelsschiff. Der Kauffahrer war so nah, dass Anne sogar die Farben der Flagge erkennen konnte. Deutlich nahm sie die goldenen Lilien und das blaue Wappen auf rotem Grund wahr.
»Segel in Sicht!«, schrie sie aus dem Krähennest. Auf beiden Schiffen liefen die Männer zur Reling und hielten Ausschau. Anne kletterte den Mast hinunter und rief die Mannschaft zusammen.
»Wir nehmen sie in die Zange und sehen, was der Franzose in seinem dicken Wanst verborgen hat. Als Erstes schnappe ich mir den Kapitän, dann drohen wir den anderen, ihn zu töten, wenn sie nicht alles herausrücken, was sie an Bord haben. Ich will kein Blutvergießen. Rackham ist unten in der Kajüte und schläft. Wenn ihr mir vertraut,
übernehme ich das Kommando für dieses eine Mal.« Die Besatzung war einverstanden.
Anne ging zum Heck und rief nach Finch, um mit ihm die Kapertaktik abzusprechen. Finch zögerte einen Moment, dann antwortete er: »Du bist verrückt, Bonny! Wir sind ganz nah vor der Küste. Wenn die Franzosen vor uns an Land gehen und erzählen, was wir getan haben, werden uns die Spanier in jedem Hafen, den wir anlaufen, mit ein paar Kanonenschüssen die Schiffe zerstören und uns in irgendeinen verdreckten Kerker werfen.« Das hatte Anne nicht bedacht. Sie überlegte.
»Wir lassen sie nur laufen, wenn sie versprechen, den Kurs zu ändern, und aufs offene Meer segeln. Das verschafft uns den Vorsprung, den wir brauchen. Finch, denk an die Beute! So ein Kauffahrer aus Frankreich hat sicher reichlich geladen!« Otis Finch war inzwischen umringt von etwa zwanzig Männern, die Annes Worte hörten. Sie überstimmten ihn und machten Annes Vorschlag zur beschlossenen Sache.
Die Franzosen hatten die beiden nahenden Schiffe längst entdeckt, machten sich aber keine Gedanken. Am Mast von John Hamans Neptun flatterte das britische Banner, ebenso wie auf der Pleasure .
Jean de Vevre, Eigner und Kapitän der französischen Galeere stand an Deck und sah durch sein Fernglas. Über seinem weißen, an den Ärmeln mit Spitze besetztem Hemd trug er eine hellblaue bestickte Weste, den dazu passenden Überrock hatte er in seiner Kajüte gelassen. Seine grauen Kniebundhosen waren ebenso wie die schwarzen, glänzend polierten Schuhe mit silbernen Schnallen verziert. An seiner rechten Hand funkelte ein dicker Goldring, in dessen Mitte ein Rubin prangte.
»Mir scheint, es handelt sich um Kaufleute wie uns.« Er putzte das Glas mit seinem Spitzentaschentuch und hielt es erneut vor die Augen.
»Ich sehe keine Uniformen, kein Militär. Wahrscheinlich wollen sie auch nach Hispaniola und ihre Vorräte ergänzen.« Beruhigt drehte er sich um und ging unter Deck.
Drei elegant gekleidete Damen mittleren Alters und ein junges, auffallend hübsches Mädchen folgten ihm. De Vevre hatte versprochen,
die vier Frauen gesund und die erhebliche Mitgift der Braut unversehrt nach Caracas zu bringen. Dort sollte Annabelle, die Jüngste, die aus einer sehr wohlhabenden Familie stammte, im kommenden Monat heiraten.
»Monsieur, le capitaine, wie lange wird es denn noch dauern, bis wir in Hispaniola an Land gehen? Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und etwas anderes zu sehen als Wasser.« Annabelle lachte fröhlich und zwinkerte ihrer Gouvernante zu.
»Mademoiselle, ein paar Stunden müssen Sie sich wohl noch gedulden. Aber ich fürchte, auch dann wird aus einem Landgang nichts werden.« Annabelles Augen verdunkelten sich. Enttäuscht schob sie die Unterlippe vor.
»Kein Landgang! Aber warum denn nicht? Ich habe mich so darauf gefreut!« De Vevre öffnete die Tür zu
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