Koenigin der Meere - Roman
davon überzeugt, dass die Royal Queen in absehbarer Zeit auftauchen würde, aber eine lange Woche geschah nichts. Drei kleine Slups und ein Dutzend Fischerboote kamen in Sicht, doch Anne gab Befehl, sie passieren zu lassen.
»Die haben alle keine Fracht, mit der wir etwas verdienen können. Aber wenn wir sie in der Nähe der Küste ausrauben, hetzen sie uns die Spanier auf den Hals, und wir müssen entweder kämpfen oder fliehen.«
Annes Kommando begann anders, als die Besatzung es sich vorgestellt hatte. Sie ließ den Männern keine Zeit, sich zu langweilen.
»Leute! Wir haben jetzt ausgiebig gefeiert und das Schiff zwar auf Vordermann gebracht, aber noch ist eine ganze Menge zu tun. Ich möchte, dass die Planken bis in den letzten Winkel geschrubbt und gescheuert werden. Ich will keine Abfälle in irgendwelchen Ecken sehen, ich will auch nicht, dass es hier jemals wieder nach Scheiße stinkt. Wenn ihr zu faul seid, euch auf den Donnerbalken zu setzen, nehmt einen Eimer und leert ihn hinterher ins Meer. Außerdem bestehe ich darauf, dass ihr euch einmal in der Woche wascht. Und nicht nur euch selbst, sondern auch eure Kleidung. Dr. Hamilton hat immer gesagt, dass Schmutz der Anfang von allen Krankheiten ist, und ich will gesunde Männer.« Sie sah die Besatzung herausfordernd an.
»Das ist ja schlimmer als bei meiner Mutter!«, rief James Dobbins aus der hintersten Reihe. Anne lachte laut auf.
»Vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest von Zeit zu Zeit auf deine Mutter gehört. Schau dir mal dein Hemd an. Das war mal weiß. Und jetzt trägst du einen braungrauen Lumpen am Leib, der so vor Dreck starrt, dass er alleine stehen könnte.« Die Männer lachten. Anne fuhr fort: »Ich werde dafür sorgen, dass ihr immer ausreichend und gut zu essen bekommt. Wenn ihr tut, was ich sage, wird Quartiermeister Corner die abendlichen Schnapsrationen verdoppeln.« Auf diese Ankündigung reagierte die Besatzung mit Beifallspfiffen. Anne hob die Hand und brachte sie zum Schweigen.
»Wenn das Schiff so sauber ist, wie ich es mir vorstelle, und alle Arbeiten erledigt sind, könnt ihr euch einen Tag ausruhen. Danach gibt es jeden Nachmittag drei Stunden Bewegung. Für das, was ich vorhabe, brauche ich gut trainierte Männer. Ich habe ein paar Instrumente an Bord geschafft. Wir werden tanzen, um die Wette in die Wanten klettern und Ringkämpfe veranstalten.«
»Tanzen! Was soll denn das? Ich mache mich doch nicht zum Affen!« Wieder war es Dobbins, der protestierte. Anne machte ein ernstes Gesicht.
»Ich sage es nur einmal. Wenn jemand nicht mitmachen möchte, bin ich ihm nicht böse. Wir laufen den nächsten Hafen an, und jeder, der will, kann uns verlassen. Aber wer mit mir segelt, folgt meinen
Befehlen, dafür garantiere ich euch Beute, wie ihr sie in eurem Leben noch nicht gesehen habt. Wir werden unsere Netze nicht nach kleinen Fischen auswerfen! Wir werden Kraft und Munition nicht für ein paar Gewürzsäcke vergeuden. Wir werden uns an die ganz großen Schiffe heranwagen und unsere Taschen mit Reichtümern füllen!« Anne sprach so mitreißend, dass sogar Dobbins bereit war, sich zu waschen und am Nachmittag zu tanzen, wenn sie es befahl.
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A nne scheute keine Arbeit. Sie war die Erste mit Eimer und Bürste in der Hand und die Letzte, die ihre Wachgänge beendete. Wenn alles erledigt war, kletterte sie den Mast hinauf und setzte sich ins Krähennest. Das war der einzige Platz auf dem Schiff, an dem sie unbeobachtet ihr rüschenbesetztes Hemd öffnen und ihre Haut von der Sonne bescheinen lassen konnte. Für die Durchführung ihres Planes war es unumgänglich, dass sie in dem erbeuteten Seidenkleid nicht aussah wie ein geschecktes Pferd.
Sie hatte die Augen geschlossen und schrak zusammen, als Calico plötzlich den Kopf über den Rand des Korbes streckte. Anne raffte ihr Hemd über der Brust zusammen.
Rackham hatte seit sechs Tagen keinen Tropfen angerührt. Nicht einmal am Abend, wenn Richard Corner Cognac verteilte, hatte er zugegriffen. Stattdessen brachte er viele Stunden damit zu, mit dem Ersten Maat Fetherston zu fechten und auf diese Weise seine linke Hand an den Umgang mit der Waffe zu gewöhnen.
Rackham kletterte in den Ausguck, nahm das Fernglas, schwenkte es vor ihr herum und neckte:
»Frau Kapitän, im Krähennest werden keine Sonnenbäder genommen! Tu deine Pflicht und such den Horizont nach einer fetten Prise ab.« Anne entwand ihm das Glas und hielt es vor ihre Augen. Backbord war nichts
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