Koenigin der Meere - Roman
als klares, blaues Wasser, so weit ihr Blick reichte. Sie änderte die Richtung und stockte.
»Calico, das könnte Hudson sein. Schau selbst. Vielleicht haben wir Glück, und es ist die Royal Queen .« Aufgeregt gab sie ihm den Fernstecher. Rackham kniff die Augen zusammen.
»Möglich. Aber noch ist sie zu weit entfernt. Ich kann nicht einmal die Flagge erkennen.« Anne zuckte zusammen. Die Flagge! Sie hatte die Flagge völlig vergessen. So schnell sie konnte, kletterte sie herunter und rief Fetherston zu sich.
»Wir sind noch nicht sicher, aber es könnte sein, dass Rackham und ich die Royal Queen gesichtet haben. Lass die britische Flagge heraufholen, die wir Finch abgenommen haben. Wenn es tatsächlich Hudson und seine Leute sind, brauchen wir sie.« Als Nächstes machte sie sich auf die Suche nach Foster. Der saß wie immer auf dem Vorderdeck und hatte mit Marys Hilfe gerade ein Segel im Meer ausgespült und zum Trocknen in der Sonne ausgebreitet. Eine mühsame Prozedur, die regelmäßig wiederholt wurde, um zu verhindern, dass die Ersatzsegel im Laderaum Stockflecken bekamen oder schimmelten. Anne machte einen Bogen um das Segeltuch.
»Foster! Mach dich bereit. Zieh dir ein sauberes Hemd an, und rasier dich. Es kann sein, dass ich dich brauche.« Mary stemmte die Hände in die Hüften.
»Bonny, lass mich das machen. Wenn ich den Rock von diesem Franzosen anziehe und den Dreispitz tief genug ins Gesicht ziehe, kann ich das genau so gut wie Mike, und wir müssen ihn nicht unnötigen Gefahren aussetzen.« Anne schüttelte den Kopf.
»Keiner weiß besser als ich, was du für ein toller Kerl bist, Read, aber diesmal, glaub mir, ist es richtig, Foster zu schicken. Er hat das seriöseste Gesicht von uns allen. Wenn er kommt, wird Hudson keinen Verdacht schöpfen.«
Zwei Stunden später war das fremde Schiff nah genug, um zu erkennen, dass es sich um die Royal Queen handelte. Anne hatte die britische Fahne hissen lassen und stand in der Kajüte vor dem Spiegel. Von ihren Sonnenbädern im Ausguck waren Dekolleté und Oberarme ausreichend gebräunt. Sie löste das Band in ihren Haaren. Eine Kaskade aus Locken in allen Rot- und Blondtönen fiel über ihre Schultern und legte sich wie ein flammender Umhang über die apricotfarbene Seide des Kleides. Das strahlende Grün ihrer Augen leuchtete verführerisch. Zufrieden nahm sie ihre Hose vom Bett und wendete das Innere nach außen. An einer dünnen Schnur baumelten das abgebrochene Ziegenhorn und ein kleines Säckchen mit ihren
Schätzen. Sie nestelte es auf und nahm das Kreuz, das Charley Balls ihr geschenkt hatte, die passenden Ohrgehänge und de Vevres Rubinring heraus. Dann legte sie den Schmuck an und trat erneut vor den Spiegel.
»Nicht schlecht für einen Piratenkapitän«, flüsterte sie und drehte sich einmal um sich selbst. Der Rock des Kleides bauschte sich wie eine Wolke aus Seide. Anne versank in einem tiefen Knicks und reichte ihrem Spiegelbild die Hand zum Kuss, so wie sie es vor ihrem Debüt von Miss Maddles im Benimmunterricht gelernt hatte. Ein kritischer Blick zeigte ihr, dass ihre Hände nicht die einer Dame waren. Rau und schwielig von der Arbeit auf dem Schiff, mit abgebrochenen und eingerissenen Fingernägeln. Anne kramte in der Truhe und zog die zum Kleid passenden Handschuhe hervor.
Der schwere Rubinring funkelte auf dem rechten Ringfinger über dem Stoff. Vorsichtig öffnete sie das Päckchen, in dem sich das Opium befand, nahm eine kleine Kugel heraus und verbarg sie im Spitzenbesatz ihres Mieders. Sie tat ein paar Schritte und musste lachen. Der breitbeinige Gang, den sie sich auf dem Schiff angewöhnt hatte, passte nicht recht zu ihrer vornehmen Kleidung. Kindchen, du musst schweben, hörte sie Miss Maddles Stimme.
Mike Foster stand am Bug des Beibootes, das, von vier Männern mit gleichmäßigen Schlägen getrieben, in Richtung Royal Queen fuhr. Am Mast flatterte eine weiße Fahne. In de Vevres hellblauem Brokatrock, den vornehmen Dreispitz auf dem Kopf, wirkte der Segelmacher wie ein feiner Herr. Anne hatte ihm ein besonders prächtiges in Leder gebundenes Buch mitgegeben und gesagt: »Wenn du an Deck bist, gibst du es ihm und sagst, es ist ein Geschenk von mir.«
Harry Hudson erwartete den Gast an der Reling. Auf der Pleasure wehte die britische Fahne. Er war sicher, dass von seinem Besucher keine Gefahr drohte. Die Jakobsleiter wurde heruntergelassen, und Foster kletterte an Bord der Royal Queen . Hudson begrüßte ihn freundlich.
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