Koenigin der Meere - Roman
erkannte, dass er nur seine Unterwäsche trug. Was, zum Teufel, war in der Nacht geschehen,
und warum konnte er sich an nichts erinnern? Anne strahlte ihn an, stand auf und brachte ihm eine Karaffe mit Wasser vom Tisch. Hudson trank mit gierigen Schlucken, fühlte sich besser, konnte sich aber noch immer an nichts erinnern.
»Aber so schön es auch war, es wird Zeit für mich zu gehen. Darf ich nach all den wundervollen Liebesdiensten noch um eine Gefälligkeit bitten?« Anne weidete sich an Hudsons Ratlosigkeit.
»Natürlich nur, wenn es nicht zu viel Mühe macht. Aber es wäre ganz reizend, wenn du jemand entbehren könntest, der mich zurück zu meinem Schiff rudert.« Annes grüne Augen blitzten vergnügt. Hudson nickte benommen. Sie hatte ihn geduzt. Dafür gab es nur eine Erklärung.
Er kratzte sich verlegen am Kopf. So etwas war ihm noch nie passiert. Er hatte die Nacht mit dieser wunderschönen Frau verbracht und wusste nichts mehr. Es war eine Schande. Hastig zog er sich an und sorgte dafür, dass Anne in einem Beiboot zur Pleasure gebracht wurde. Sie verabschiedete sich mit einer Kusshand von ihm.
Die Freibeuter konnten es kaum erwarten, Annes Bericht von ihrem Besuch auf der Royal Queen zu hören. Während sie das Schiff bis in die kleinsten Details beschrieb, suchte sie mit den Augen nach Rackham. Er war nicht an Deck. Anne hoffte, dass er nicht wieder getrunken hatte, und beendete ihre Schilderung: »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir unseren Plan ändern müssen. Statt die Ladung der Royal Queen hier an Bord zu bringen, denke ich, es ist klüger, einfach gleich das ganze Schiff zu kapern und Hudson und seine Leute mit der Pleasure weitersegeln zu lassen. Damit sind wir außerdem noch im Vorteil, wenn Rogers uns suchen sollte, denn dann macht er Jagd auf das falsche Schiff.« Ihr Vorschlag wurde begeistert angenommen. Anne beeilte sich, unter Deck in die Kajüte zu kommen. Traurig sah sie, dass ihre Befürchtung richtig gewesen war. Calico lag betrunken auf dem Bett und schlief. Anne tauschte das Seidenkleid gegen Hemd und Hose, verbarg den Schmuck wieder in dem kleinen Lederbeutel, band die Haare zurück und verließ die Kajüte.
Auf Deck hatte Kanonier Thomas Earl veranlasst, dass die gesamten Pulver- und Munitionsvorräte aus der Pulverkammer geholt und in ein Beiboot verladen wurden. Das kleine Boot lag hinter der Pleasure ,
sodass die Besatzung der Royal Queen nicht sehen konnte, welche Vorbereitungen Annes Mannschaft traf.
Thomas Earl hatte drei Kanonen an Deck in Stellung bringen lassen und richtete sie auf die Segel der Royal Queen . Anne stand neben ihm.
»Denk daran, dass wir mit dem Schiff weiterwollen. Wenn du die Masten zertrümmerst, nutzt uns das gar nichts.«
»Bonny, wenn du deinen Teil der Arbeit so gut gemacht hast, wie ich meinen gleich erledigen werde, kann gar nichts schiefgehen.« Earl lud die erste Kanone mit Kettenkugeln. Das Geschoss bestand aus zwei mit einer kurzen, massiven Kette verbundenen Eisenkugeln, riss große Löcher in die Segel und machte das gegnerische Schiff manövrierunfähig.
»Bonny, wir müssen handeln, auf der Royal Queen lichten sie die Anker« Fetherston lehnte an der Reling und nahm das Fernglas nicht von den Augen. Anne wandte sich zu Earl.
»Bist du so weit? Sie lichten die Anker, wenn sie ihre Position verändern, ist deine ganze Arbeit umsonst gewesen.« Earl salutierte.
»Aye, Kapitän.«
»Feuer frei!«, antwortete Anne. Mit einem donnernden Krach löste sich der erste Schuss und traf das Großsegel in der Mitte. Auf der Royal Queen herrschte Verwirrung. Hudson stand auf dem Achterdeck und brüllte: »Sind die verrückt geworden? Was soll denn das?« Bevor er eine Antwort auf die Frage fand, zerfetzte ein zweites Geschoss das Vorsegel. Die Royal Queen war nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen.
»An die Waffen, Männer! Gebt ihnen Zunder!«, schrie Hudson vom Achterdeck. Seine Männer feuerten ihre Pistolen und Musketen ab. Ihre Schüsse verfehlten das Ziel, denn Anne hatte die Entfernung der beiden Schiffe so berechnet, dass Handfeuerwaffen keinen Schaden anrichten konnten. In aller Eile wurden die Geschützpforten der Royal Queen geöffnet und die Kanonen in Stellung gebracht. Der Kanonier zündete den ersten Vierpfünder, doch die Kanone blieb stumm. Er hastete zur nächsten Kanone, doch auch die schwieg. Entsetzt zündete er eine Lunte nach der anderen, es löste sich kein Schuss. Aus der Pulverkammer drang ein gellender
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