Koenigin der Meere - Roman
Schrei. Der erste Maat hatte das
mit stinkendem Bilgewasser durchnässte Pulver gefunden. Er lief zu seinem Kapitän und erstattete Bericht.
Hudsons Gesicht wurde erst leichenblass und dann rot vor Zorn.
»Das ist diese Hexe gewesen! Auf dem Scheiterhaufen soll sie brennen dafür!« Seine Männer hatten ihre Waffen leer gefeuert. Das Pulver war so nass, dass niemand nachladen konnte. Wenn Hudson sein Schiff retten wollte, blieb ihm nichts, als sich kampflos zu ergeben. Er ließ die britische Flagge einholen und setzte zum Zeichen der Kapitulation einen weißen Stofffetzen.
An Bord der Pleasure brach Jubel aus.
»Hoch mit dem Jolly Roger!«, rief Anne, und binnen Sekunden flatterte Rackhams schwarze Fahne mit Totenkopf und gekreuzten Säbeln am Mast. Hudson stieß einen Fluch aus.
»Es ist diese Höllengeburt Rackham, der uns das alles eingebrockt hat. Der Teufel soll ihn holen!« Er trat mit dem Fuß so fest gegen den Mast, dass er sich den kleinen Zeh brach.
Wenig später lagen die beiden Schiffe nebeneinander. Zwei Dutzend Männer hatten sich in den Wanten der Schaluppe positioniert und waren bereit, sich auf Annes Befehl an dicken Tauen auf die Royal Queen zu schwingen.
»Klar zum Entern! Ich will keine Toten!«, rief sie mit durchdringender Stimme und wagte, das Entermesser in der rechten Hand, den ersten Sprung. Sie prallte gegen das Spriet-Marssegel, rammte ihr Messer in den Stoff und ließ sich daran auf die Planken gleiten. Hudson und seine Besatzung verfolgten das Kunststück mit offenen Mündern. Blitzschnell umzingelten Annes Männer die Mannschaft der Royal Queen und hielten sie mit gezückten Waffen in Schach.
Anne stellte sich breitbeinig vor Hudson.
»Es wird niemandem auch nur ein Haar gekrümmt, wenn geschieht, was ich befehle. Wir übernehmen das Schiff, bringen unsere Sachen herüber und lassen euch die Schaluppe. Ihr könnt frei entscheiden, wohin ihr segeln wollt.« Sie winkte ihren Männern, die sofort damit begannen, Seesäcke und Kisten an Deck der Royal Queen zu hieven.
Harry Hudson bebte vor Wut. Er spie Anne vor die Füße.
»Sie sind das Infamste, Verlogenste und Unverschämteste, was mir
jemals begegnet ist. Ich werde dafür sorgen, dass Sie und Ihr Kapitän Rackham am Galgen landen.« Anne hielt ihm drohend ihr Messer unter die Nase:
»Vorsicht, Mr. Hudson, sonst überlege ich mir noch einmal, ob hier wirklich jeder ungeschoren von Bord kommt.« Sie berührte seine Nase mit der Messerspitze. Hudson stolperte einige Schritte rückwärts und schwieg.
Die Kaperer waren vollzählig auf der Royal Queen versammelt und damit beschäftigt, die zerrissenen Segel zu reffen und durch seetüchtige zu ersetzen. Mary und Foster hatten Calico an Bord geholfen und ihn auf Annes Anweisung sofort unter Deck gebracht.
Ein Spalier bewaffneter Piraten zwang Hudsons Mannschaft, die Waffen abzulegen. Einer nach dem anderen verließ die Mannschaft die Royal Queen und kletterte an Deck der Pleasure . Harry Hudson ging als Letzter. Sein Blick schwor Anne ewige Rache.
-35-
H arry Hudson verlor keine Zeit und nahm Kurs auf den Hafen von Hispaniola. Je schneller er dort einlief, umso schneller würde er Unterstützung erhalten und die Jagd auf die Royal Queen aufnehmen können. Der Gedanke, sein geliebtes Schiff den Piraten überlassen zu müssen, versetzte ihn in unerträgliche Rage.
Etwa zur gleichen Zeit näherten sich aus Nassau Jonathan Barnett und seine Mannschaft. Rogers hatte die Harbinger mit seinen mutigsten Offizieren, gut ausgebildeten Scharfschützen und einer kampflustigen Besatzung bemannt. Allen voran Jonathan Barnett, der sich und seinen Leuten das Äußerste abverlangte. Sie segelten Tag und Nacht, gönnten sich keine Pause, liefen die kleinen Häfen auf dem Weg nur an, um frischen Proviant und Wasser aufzunehmen. Barnett war besessen von dem Gedanken, Rackham zu fangen und sich damit Ruhm, Ehre sowie die ausgeschriebene Belohnung zu verdienen.
Hispaniola glänzte in der Morgensonne, als die Harbinger den Hafen erreichte. Barnett stand am Bug des Schiffes, den scharfen Blick starr geradeaus gerichtet. Sein Steuermann manövrierte das Schiff geschickt in die Bucht. Etwa fünfzig Schiffe lagen hier vor Anker, Kauffahrer, Fischerboote und sogar ein französisches Kriegsschiff. Die Matrosen der Harbinger warfen den Anker und bereiteten sich auf ihren Landgang vor. Barnett hatte angekündigt, dass sie in zwei Gruppen jeweils einen halben Tag auf der Insel verbringen, sich um frische
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