Koenigin der Meere - Roman
dich?«
»Doc, ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt und werde Ihnen mein ganzes Leben lang dankbar sein. Wenn es nicht wegen Mary wäre, ich könnte mich nicht besser fühlen.« Anne schluckte.
»Wir werden einen guten Platz für ihren Sohn finden und ihr Andenken für ihn bewahren«, versuchte Hamilton zu trösten.
»Was heißt, einen guten Platz für Mike finden. Mike hat einen guten Platz, er bleibt bei mir, das habe ich Mary versprochen. Wissen Sie, Doc, eigentlich wollte Mary auf unsere Kinder aufpassen, auch auf meinen Jack, aber jetzt werde ich das übernehmen.« Annes Stimme war fest und bestimmt. Hamilton sah sie fragend an.
»Heißt das, du wirst nicht mehr zur See fahren?«
»Nein, Doc, die Zeiten sind vorbei. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren. Ich hoffe von Herzen, dass ich auch mein zweites Kind gesund auf die Welt bringe, und dann verschwinde ich irgendwohin, wo mich niemand kennt, und führe ein ehrbares Leben. Zumindest würde ich das gerne versuchen.« Sie lächelte verschmitzt.
»Im Augenblick nehmen wir Kurs auf Pinos. Das ist der sicherste Ort für dich, bis du entbunden hast. Was dann weiter geschieht, musst du entscheiden. Aber ich sage dir klipp und klar, du kannst nicht zurück nach Nassau, und du solltest auch so bald nicht wieder auf Jamaika auftauchen. Ich glaube nicht, dass die Herren Rogers und Lawes sonderlich gut auf dich zu sprechen sind.« Hamilton sah ihr fest in die Augen. »So, und jetzt würde ich gerne mal schauen, wie es dir wirklich geht. Vielleicht können wir feststellen, wann dein Kind auf die Welt kommt.« Anne rutschte von ihren Kissen und streckte sich aus. Der Arzt tastete ihren Bauch ab, sah besorgt die dünnen Arme und Beine und gab ihr eine Paste, um die entzündeten Floh- und Wanzenbisse zu heilen.
»Du bist zu mager. Das Erste, was ich dir verordne, sind fünf Mahlzeiten täglich. Außerdem brauchst du frische Luft und Bewegung. Ich möchte, dass du jeden Tag nach dem Frühstück und vor dem Abendessen eine halbe Stunde auf Deck spazieren gehst.«
»Doktor! Ich bin schwanger, nicht krank. Was heißt eine halbe Stunde? Soll ich den Rest des Tages etwa hier herumliegen und faulenzen?«
»Genau so ist es. Dein Bauch ist schon ziemlich weit heruntergerutscht, aber meiner Meinung nach hast du noch etwa acht Wochen, bis das Kind ausgereift ist. Wenn du dich jetzt zu sehr anstrengst, kommt es zu einer Frühgeburt, und das geht oft nicht gut aus.« Anne sah ihn erschrocken an.
»Ich tue, was Sie sagen, Doc. Wenn Sie wollen, dass ich ab sofort nur auf den Händen laufe, lerne ich das auch.« Sie setzte sich wieder auf und strich die Decke glatt. Hamilton tätschelte ihre Wange.
»So bist du mein braves Mädchen. Ich lasse dir jetzt in der Kombüse ein rohes Ei mit Zucker und Rotwein aufschlagen, das stärkt und bringt wieder Farbe in dein blasses Gesicht.« Anne schüttelte sich.
»Ei mit Rotwein, Doc, wollen Sie mich vergiften?«
»Keine Widerrede, du hast versprochen, mir zu gehorchen!« Hamilton schloss die Tür hinter sich. Anne kuschelte sich in die Kissen, zog die Decke bis zum Kinn und schlief augenblicklich ein. Sie hörte nicht, dass es wenig später zaghaft an der Tür klopfte, und wachte auch nicht auf, als Jubilo mit dem geschlagenen Ei hereinkam und sich neben ihr Bett setzte.
Draußen war es längst dunkel. Jubilo saß noch immer auf seinem Platz und betrachtete Anne im Schein einer kleinen Laterne, die er mit Anbruch der Dämmerung entzündet hatte.
Die Schiffsglocke rief die Mannschaft zum Abendessen und weckte Anne. Sie reckte sich und öffnete die Augen.
»Jubilo, mein kleiner, großer Jubilo. Vor ein paar Tagen habe ich schon nicht mehr geglaubt, dass wir uns jemals wiedersehen würden.« Anne setzte sich auf und breitete die Arme aus. Jubilo setzte sich auf ihr Bett und küsste sie auf die Wange.
»Anne, ich muss dir etwas beichten.« Er stockte. Anne sah ihn aufmunternd an.
»Na, komm schon, raus damit, nach allem, was ich erlebt habe, kann es so schlimm nicht sein.«
»Anne, als ich hörte, dass du gefangen bist, habe ich deinen Brief gelesen. Ich weiß, du hast eigentlich gesagt, ich darf ihn lesen, wenn dir etwas passiert ist. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.« Er sah sie schuldbewusst an. Anne räusperte sich und murmelte: »Dann weißt du Bescheid. Es ist wahr. Ich bin deine Schwester, also eigentlich Halbschwester,
aber das ist egal. Meine Mutter lebt nicht mehr, deine Mutter ist tot. Wir sind beide
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