Koenigin der Meere - Roman
William Cormacs Kinder.«
Anne senkte den Blick. Sie würde Jubilo niemals die Wahrheit über Phibbahs Tod sagen können. Es war die Strafe für ihr Verbrechen, dass sie es für sich behalten und alleine mit ihrer Tat fertig werden musste. Wie oft hatte sie daran gedacht, wie oft hatte sie sich gewünscht, die tödlichen Messerstiche rückgängig machen zu können. Wenn sie jemals die Beichte bei einem Priester ablegen sollte, würde sie sich ihre Schuld von der Seele reden, doch bis dahin saß die grauenhafte Erinnerung wie ein Geschwür in ihren Eingeweiden. Jubilo konnte sie nicht freisprechen, es war seine Mutter, die sie getötet hatte. Wenn sie es ihm erzählte, würde sie ihn verlieren, und im Augenblick war er alles, was sie hatte.
»Anne, erzähl mir von meiner Mutter. Es ist alles so lange her. Ich habe ihren Geruch noch in der Nase, ihr Lachen noch in den Ohren, aber ich erinnere mich an so wenig.« Jubilo sah sie bittend an. Anne schluckte. Dann erzählte sie ihm, wie schön seine Mutter gewesen sei, wie liebevoll sie sich erst um Margaret Mary und dann um sie gekümmert habe. Sie beschrieb ihm, wie sehr Phibbah ihren Vater geliebt habe, von dem kleinen Häuschen, sie erzählte ihm sogar, wie sie das Verhältnis der beiden entdeckt habe.
»Ich war schockiert, das kannst du mir glauben. Aber ich war ja auch noch ein kleines Mädchen. Es wollte einfach nicht in meinen Kopf, dass mein Vater meine Mutter so einfach durch eine andere Frau ersetzte. Aber dann kamst du, und du warst ein so bezauberndes Kind, dass ich gar nicht anders konnte, als dich zu lieben. Niemand konnte anders. Auch meine Mutter hat dich geliebt.« Annes Stimme zitterte. Es war das erste Mal seit Jahren, dass sie voller Wärme an ihre Kindheit dachte. Ein trauriges Gefühl der Verlassenheit bemächtigte sich ihrer. Jubilo wischte sich die Tränen vom Gesicht.
»Anne, wir sollten zurück nach Charleston fahren. Dort lebt unser Vater. Er ist allein. Unser Platz ist bei ihm. Du weißt, dass ich nie gern zur See gefahren bin, und seit ich Kisu kenne, bin ich sicherer als jemals zuvor, dass ich mein Leben nicht damit verbringen will, als Wogenfetzer andere Schiffe auszurauben. Ich kann arbeiten, hart arbeiten. Ich habe viel bei Molly gelernt. Ich will Kisu heiraten und eine
Familie gründen. Seit sie den kleinen Mike das erste Mal im Arm gehalten hat, ist sie noch verrückter darauf, eigene Kinder zu haben. Sie wird eine gute Mutter sein, und ich werde mein Leben lang dafür sorgen, dass es ihr an nichts fehlt.« Jubilo stand auf und hob seine rechte Hand zum Schwur. Anne nickte.
»Ich habe auch schon darüber nachgedacht zurückzugehen. Aber zuerst muss ich mein Kind auf die Welt bringen. Doc Hamilton sagt, dass wir Kurs auf Pinos genommen haben. Dort ist mein kleiner Jack. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich ihn vermisse. Ich werde entbinden, mich erholen und dann machen wir uns auf den Weg nach Charleston. Vater wird aus dem Staunen nicht herauskommen, wenn wir beide dort mit drei kleinen Kindern auftauchen.«
Anne lehnte sich zurück und dachte an Kabelo. Was wohl aus ihm geworden sein mochte. Ob er noch auf der Plantage lebte? Sie hoffte inständig, ihren geliebten Vertrauten aus Kindertagen wiederzusehen.
»Und jetzt tu mir einen Gefallen, hol Kisu und Mike.« Jubilo sprang auf und lief, ohne die Tür hinter sich zu schließen, an Deck.
Kisu trat schüchtern an Annes Bett und reichte ihr vorsichtig den Säugling.
»Drück ihn nicht zu fest, er hat gerade getrunken, und wenn man nicht aufpasst, spuckt er einem die Hälfte der Milch auf die Schulter.«
Anne legte den kleinen Jungen auf die Decke zwischen ihre Beine. Im Schlaf verzog Mike das Gesicht zu einem reflexartigen Lächeln.
»Mein Gott, ist das ein hübsches Kind«, flüsterte Anne. »Wenn Mary ihn doch nur sehen könnte. Er hat ihre dunklen Locken. So viele Haare, bei so einem kleinen Kerl.« Anne nahm Mike in den Arm, streichelte sein rosiges Gesicht und wiegte ihn sanft.
»Lass ihn mir ein wenig. Er riecht so gut. Kisu, du machst das großartig.« Unter ihrer dunklen Haut errötete Kisu vom Hals bis zur Stirn. In diesem Moment drang ein leises, aber deutlich hörbares Grollen aus der Windel des Babys. Anne rümpfte die Nase.
»Ich glaube, ich verzichte auf eine Verlängerung der Schmusestunde. Nimm ihn lieber wieder mit und mach ihn sauber.«
Als Kisu die Kabine verlassen hatte, legte Anne die Hände auf ihren
Bauch, schloss die Augen und freute sich
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