Koenigin der Meere - Roman
ersten Mal die Felder, die Hütten der Sklaven, sah die Schwarzen arbeiten und die Aufseher mit ihren Peitschen. Dass Menschen geschlagen wurden, wenn sie nicht schnell genug arbeiteten, entsetzte
sie zutiefst. Zurück zu Hause, schwang sie sich aus dem Sattel, gab Kabelo die Zügel und stürmte in das Zimmer ihrer Mutter.
Margaret lag in ihrem Bett, die Haare von Phibbah sorgfältig frisiert, den Kopf von einem Gebirge weißer Spitzenkissen gestützt. Wieder und wieder hatte sie in jüngster Zeit unter heftigen Fieberattacken gelitten, und das vom Arzt verordnete Medikament brachte nur Linderung, aber keine Heilung.
Anne riss die Türe auf und sprang auf das Bett ihrer Mutter.
»Sie haben Peitschen und Stöcke, sie schlagen die Leute damit! Das dürfen sie nicht!« Sie brach in Tränen aus. Margaret schloss sie in die Arme.
»Nein, eigentlich dürfen sie das nicht, aber manchmal tun Menschen Dinge, obwohl sie sie eigentlich nicht dürfen«, sagte sie sanft und dachte, eigentlich dürfte William dem Kind das alles auch nicht zeigen, und doch tut er es und wühlt sie damit so sehr auf.
Cormac reagierte verärgert auf ihre Vorwürfe.
»Was glaubst du eigentlich, wovon ich all deine seidenen Nachtgewänder und Parfümflakons bezahle? Wenn hier keine Neger arbeiten würden, gäbe es das nicht. Du kannst Anne nicht ein Leben lang in Watte packen. Sie wird demnächst acht Jahre alt, und wenn wir beide einmal nicht mehr sind, wird ihr das alles hier gehören. Sie muss früh lernen, was es heißt, eine solche Plantage zu besitzen und zu verwalten, und dazu gehört, dass sie keine Angst vor dem hat, was sich hier abspielt. Ohne Sklaven lässt sich ein solches Anwesen nicht führen. Der Herrgott weiß, dass ich dafür sorge, dass niemand zu Unrecht geschlagen oder sonstwie bestraft wird. Aber manchmal geht es nicht anders.« Mürrisch drehte er sich um und ging aus dem Zimmer.
In dieser Nacht besuchte er Phibbah.
Durch den Ritt über die Plantage war Annes Neugier geweckt. Sie hatte den Streit ihrer Eltern gehört und wusste, dass Kabelo sie niemals, ohne mit ihrem Vater zu sprechen, begleiten würde. Sie ahnte, dass ihr Vater nach der Auseinandersetzung, die sie belauscht hatte, seine Erlaubnis nicht geben würde, und beschloss, weitere Erkundungen auf eigene Faust zu unternehmen.
Während der Mittagszeit ruhte das ganze Haus. Miss Enders hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen, Margaret lag in ihrem Bett, Phibbah
saß neben ihr und kühlte die Stirn ihrer Herrin mit feuchten Tüchern. Tilly saß auf einem Schemel in der Küche, auf dem Schoß eine Schüssel mit Süßkartoffeln, und schnarchte. William Cormac hatte es sich in seinem großen Ledersessel bequem gemacht, die Beine weit von sich gestreckt, und hing mit geschlossenen Augen seinen Gedanken nach.
Auf Zehenspitzen verließ Anne ihr Zimmer und schlüpfte an Tilly vorbei zur Küchentür hinaus in den Garten. Hinter dem Haus hatte Kabelo eine kleine Koppel eingezäunt. Zebrony graste friedlich auf der Wiese. Mit einem leisen Wiehern kam es auf Anne zu und ließ sich das Zaumzeug anlegen. Anne führte das Tier aus dem Gatter und schwang sich auf seinen Rücken. Ein kleiner Stups in die Flanken, und Zebrony machte sich gehorsam auf den Weg.
Kabelo, der vor seiner Hütte mit einer Schnitzerei beschäftigt war, hörte das Quietschen des Törchens und stand auf. Er sah Anne hinter der ersten Biegung des Weges verschwinden und entschied, ihr zu folgen. Das Mädchen ritt im Schritttempo und bemerkte ihn nicht.
Teile des Cormac’schen Anwesens waren bewaldet. Anne lenkte ihr Pony sicher zwischen den Bäumen hindurch; plötzlich hielt sie inne, rutschte vom Pferderücken, band die Zügel an einer Zypresse fest und duckte sich. Etwa zwanzig Meter hinter ihr kletterte Kabelo auf einen Baum, um besser sehen zu können.
Am Rande einer Lichtung, direkt an einem schmalen Seitenarm des Ashley, stand ein hölzerner Unterschlupf, vor dem ein Feuer loderte. Ein Mann, eine Frau und zwei Kinder hielten Stöcke über die Flammen. Kabelo kniff die Augen zusammen und erkannte, dass sie Fische brieten. Die Kinder lachten; der Wind trug ihre munteren Stimmen in den Wald. Anne verharrte regungslos im Schutz einer Mangrove.
Miss Enders hatte ihr von Indianern erzählt, die ursprünglich in der Karibik beheimatet gewesen und von den Spaniern vor langer Zeit versklavt worden waren. Was sie sah, entsprach genau dem, was ihre Gouvernante beschrieben hatte. Der Mann hatte lange,
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