Koenigin der Meere - Roman
glänzende schwarze Haare, trug einen Schmuck aus Bambus um den Hals und einen Strick um die Hüfte. An diesem Strick waren ein kleiner Lendenschurz aus Leder und ein großes Messer befestigt. Seine Frau war
ebenso gekleidet, trug aber an beiden Knöcheln breite Manschetten aus Gold, die in der Sonne funkelten. Die Kinder waren bis auf ein paar bunte Ketten nackt. Anne wagte einen Schritt aus ihrer Deckung heraus. Was für ein Abenteuer! Echte Indianer auf dem Land ihres Vaters, und niemand außer ihr wusste davon. Gerade wollte sie sich aus dem Schutz des Waldes auf die Lichtung wagen, da wurde sie mit festem Griff von hinten gepackt und zurückgerissen. Anne wollte vor Schreck schreien, doch Kabelo hielt ihr den Mund zu. Seine Augen blitzten zornig. Er stellte seinen Schützling ab, legte den Finger zum Zeichen des Schweigens auf seinen Mund und zog sie noch ein Stück weiter zurück in den Wald. Vorsichtig band er Zebrony los, hob Anne wortlos hoch und führte das Tier leise in die entgegengesetzte Richtung. Anne hielt sich stocksteif auf ihrem Pony. In ihrem Hals saß ein dicker Kloß. Nicht auszudenken, wenn ihr Vater erfuhr, dass sie sich ohne Erlaubnis vom Haus entfernt hatte. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht zu weinen. Die Hälfte des Weges war bereits zurückgelegt, da hielt Kabelo endlich an und drehte sich zu ihr um.
»Miss Anne! Was hast du dir dabei gedacht? Wie kannst du in den Wald reiten, ohne jemandem ein Wort zu sagen? Wenn er davon erfährt, wird Mr. Cormac mich auspeitschen lassen! Willst du das?« Anne schüttelte den Kopf.
»Nein, Kabelo, das will ich nicht. Du darfst es Daddy nicht erzählen, denn sonst nimmt er mir Zebrony weg.« Der Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen.
»Wie stellst du dir das vor? Ich soll Mr. Cormac nicht sagen, dass ich dich im Wald gefunden habe, dass da Wilde leben, von denen er nichts weiß?« Kabelo sah sie böse an.
»Kann es nicht einfach unser Geheimnis bleiben? Ich verspreche dir, dass ich es nie wieder tue!« Anne legte flehend den Kopf schief. »Miss Enders hat mir gesagt, dass das Indianer sind; sie kommen aus der Karibik, sie sind nicht gefährlich. Wir könnten doch mal zusammen hingehen. Vielleicht können wir mit ihnen sprechen.« Kabelo atmete tief ein.
»Miss Anne, wenn du dein Wort hältst und so etwas nie wieder tust, werde ich dir mein Wort geben, dass ich schweige. Aber ich will nichts mehr von den Indianern hören! Wir gehen da niemals gemeinsam
hin. Das ist mein letztes Wort.« Seine Stimme klang so streng, dass Anne es für besser hielt, nicht weiterzubohren.
Als William Cormac seine Nachmittagsruhe beendet hatte und auf die Veranda trat, sah er seine Tochter, wie sie unter Kabelos Anleitung auf der Koppel die ersten vorsichtigen Galoppschritte mit ihrem Pony wagte. Was für ein Glücksgriff, dieser Mann, ich hätte keinen verlässlicheren finden können, dachte er und ging ins Haus, um nach Margaret zu sehen.
Niemand bemerkte, dass Kabelo in den folgenden Nächten regelmäßig seine Hütte verließ und im Wald verschwand. Er kannte Anne und wusste, dass sie nicht lockerlassen würde, bis er eines Tages mit ihr zu der Lichtung gehen würde. Kabelo sah nur eine Möglichkeit, das Problem zu lösen. Er musste herausbekommen, was dort für Menschen lebten und ob sie eine Gefahr für die Familie seiner Herrschaft darstellten. Drohte Böses, so würde er die Leute entweder gleich töten oder Mr. Cormac von ihnen berichten. Waren sie gutwillig, würde er Miss Anne ihren Herzenswunsch erfüllen und sie eines Tages mitnehmen.
Die Lichtung lag in völliger Dunkelheit, als Kabelo aus dem Wald trat. Wie am Tag zuvor brannte ein Feuer, doch diesmal saß nur der Mann vor der Holzhütte. Auf seinem Schoß hielt er einen langen Speer, dessen Spitze er mit einem Messer bearbeitete. Zum Zeichen, dass er in friedlicher Absicht kam, erhob Kabelo beide Hände, als er langsam auf die Hütte zuging. Der Indianer sprang mit einem Satz auf die Füße und brachte seinen Speer in Anschlag. Kabelo blieb stehen.
»Nicht! Ich will dir nichts tun, ich will nur mit dir sprechen! Nimm die Waffe herunter!« Der Mann senkte die Speerspitze.
»Wer bis du? Was willst du hier? Seit wann laufen Schwarze hier frei herum? Bist du dem Aufseher abgehauen? Wie hast du mich gefunden?«
»Langsam, langsam, eines nach dem anderen.« Kabelo nahm die Hände herunter. »Ich heiße Kabelo, ich bin der Haussklave des neuen Besitzers, ich unterstehe keinem Aufseher, ich möchte
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