Königin der Piraten
schaute durch seine Wimpern träge zu ihr auf. Unwillig fuhr sie zurück. Nun sah Gray die Tränen auf ihren Wangen und setzte sich beunruhigt auf, um sie sanft in die Arme zu nehmen. Es war eine zärtliche, liebevolle Geste, und Gray war selbst überrascht, als ihm klar wurde, dass er sich wirklich um Maeve sorgte, sie in ihrem Kummer trösten wollte. Und zwar nicht, um ihre Tränen dazu auszunutzen, dass sie ihm erneut zu Willen war, sondern weil in ihm echte Gefühle für sie aufkeimten.
»Schsch. Was hast du denn? Habe ich etwas falsch gemacht?«, fragte er. »Etwas Falsches gesagt?« Seine Hand verfing sich in ihrem Haar und strich die glänzenden kastanienbraunen Strähnen glatt.
Als hätte er sie verbrannt, riss sich Maeve aus seiner Umarmung los und ging zum Fenster hinüber, um ihm nicht mehr so nahe zu sein. Gray schwang die Beine aus dem Bett und starrte sie verwirrt und ein wenig gekränkt an, weil sie sich nicht von ihm trösten lassen wollte. Ihre Wangen glühten, ihre Augen funkelten, und ihre Brust hob und senkte sich heftig, als sie breitbeinig wie ein Krieger dort stand. Gray fand, dass sie verängstigt aussah. Wütend. Schön. »Es liegt nicht an dir, verdammt!«, rief sie. »Begreifst du das nicht? Es liegt nicht an dir!«
Abrupt wandte sie sich ab und schaute aus dem Fenster. Das prachtvolle Haar fiel ihr über den Rücken, sie atmete schwer und zitterte am ganzen Körper. Oben an ihrer Hüfte entdeckte Gray eine Narbe, und er sah, wie sich ihre Muskeln unter der goldbraunen Haut anspannten. Aus ihrer Haltung schien ihm Wut und Schmerz über einen Verrat zu sprechen, und es tat ihm selbst in der Seele weh, als er sich fragte, was wohl der Grund dafür war.
»Es ist wegen meiner Eltern«, sagte Maeve mit schneidender Stimme.
»Wegen deiner Eltern?«
»Ja, verdammt! Sie haben mich im Stich gelassen; sie lassen mich in diesem elenden Dreckloch verrecken. Ach, ich weiß gar nicht, warum ich davon angefangen habe. Ich will nicht über sie reden, nicht jetzt und auch sonst nicht.«
Sie schaute weiter aus dem Fenster zum entfernten Horizont. Gray atmete ganz leise aus. Er machte Anstalten aufzustehen, denn er wollte dieses stolze, verkrampfte Geschöpf in die Arme schließen und so trösten, wie er es am besten konnte. Doch eine innere Stimme warnte ihn, es nicht zu tun. Diese wütend hervorgestoßenen Worte - es ist wegen meiner Eltern - hatten die stolze Maeve schon genug Überwindung gekostet.
Er betrachtete ihren schlanken, geschwungenen Rücken. »Das klingt, als würdest du sie vermissen«, sagte er sanft.
Mit trotzig blitzenden Augen fuhr Maeve zu ihm herum. »Sie scheren sich keinen Deut um mich. Warum sollten sie mir noch am Herzen liegen?«
Ihre goldbraunen Augen schimmerten unnatürlich hell und glasig.
»Ja, natürlich.« Gray sah sie an. »Sie müssen wirklich schrecklich brutal und gefühllos gewesen sein«, sagte er provozierend und wurde prompt mit einem Wutausbruch belohnt.
»Sie waren nicht schrecklich, nur ...«
»Nur was?«
»Verdammt, ich habe dir doch gesagt, ich will nicht über sie sprechen.«
Gray nickte nur und schwor sich, schon noch irgendwie herauszubekommen, was da vorgefallen war - wenn nicht von Maeve selbst, dann von einem ihrer Flintenweiber. In seiner Stellung musste er schließlich ein Meister darin sein, anderen Informationen zu entlocken. Offensichtlich steckte mehr hinter der Geschichte, als Maeve zugeben wollte, und bei Gott und dem Teufel, er würde der Sache auf den Grund gehen, noch bevor er seine Angelegenheiten auf dieser Insel erledigt hatte.
Warum interessiert dich das überhaupt, Mann?
Gray betrachtete Maeve, wie sie dort vor ihm stand - eine tapfere kleine Piratenkönigin, die jedoch nicht ganz den Mut hatte, auch einmal hilflos und verletzlich zu sein. Warme Gefühle für sie durchströmten ihn. Das war mehr als Lust, mehr als Bewunderung für eine Frau, in der all seine Fantayen wahr wurden - es war liebevolle Zuneigung, der Wunsch, sich um einen anderen Menschen zu kümmern und ihn zu beschützen. Gray, der selbst in einer glücklichen, harmonischen Familie aufgewachsen war, hatte keine Hemmungen, solche Gefühle zuzulassen.
Denn anders als die wundervolle Frau dort am Fenster hatte er keine Angst davor, sein Herz zu verlieren.
»Ich lasse dich nicht im Stich«, sagte er.
»Nein, natürlich nicht«, versetzte Maeve sarkastisch. »Du bist ja auch mein Märchenprinz, und ich bin deine Märchenprinzessin.«
Maeve grub die Finger in
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