Königin der Piraten
machen, wie sie es nie zu träumen gewagt hatte. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper war ganz matt, erschlafft - und befriedigt.
Maeve stützte sich auf einen Ellbogen und betrachtete Grays Gesicht. Sie sah den Pulsschlag an seiner Kehle, sah, wie sich seine Nasenflügel bei jedem Atemzug sanft blähten. Er sah so gut aus, dass es schmerzte, und war selbst im Schlaf noch eine viel zu große Bedrohung für den Schutzwall rings um ihre Festung, ihre Weiblichkeit, ihr Herz.
Angst und Zweifel stiegen in Maeve auf.
Ich hätte mich ihm nicht hingeben sollen, dachte sie. Ich hätte mich ihm weiterhin widersetzen sollen, wie ich es vorgehabt hatte. Dann wäre wenigstens mein Herz nicht in Gefahr.
Mein Herz ist nicht in Gefahr.
Maeve berührte die Tätowierung auf Grays kräftiger Schulter. Ihr hungriger Blick schweifte über seine muskulöse Brust, die Rippenbögen, den straffen, flachen Bauch und die Linie dunkler Haare, die hinunter zu seiner Männlichkeit führte. Sein bestes Stück ruhte nun friedlich in seinem Bett aus weichem schwarzem Haar. Allein der Anblick und die Erinnerung an die Lust, die es ihr bereitet hatte, ließen Maeve erröten, und ihr Schoß brannte plötzlich so, dass sie die Beine zusammenpressen musste. Gott, er sah aber auch so verteufelt gut aus. Er war vollkommen. Kü hn, charmant und einfach hinreißend. Er verkörperte alles, wovon sie je geträumt, worum sie je gebetet hatte, und auch wenn er kein Offizier war, so war er doch ihr Märchenprinz.
Er gehörte ihr.
Aber wer war er eigentlich? Was wusste sie von ihm, außer dass er ein begabter, fantasievoller und einfühlsamer Liebhaber war, dass er einmal der Königlich Britischen Marine angehört hatte - und dass Lord Nelson jede Summe bezahlen würde, um ihn zurückzubekommen?
Ein wohliger Schauer überlief Maeve. Grays Vergehen gegenüber der Marine mussten ungeheuerlich gewesen sein - diese Vorstellung fand sie prickelnd und aufregend. Kein Wunder, dass er behauptet hatte, sie ebenso interessant zu finden, denn ihre Machenschaften waren sicherlich genauso finster wie seine. Doch noch während sie darüber nachdachte, schrillte in ihrem Herzen eine Alarmglocke. Sie war knallhart, abgebrüht und verkörperte damit das Gegenteil von weiblichem Charme und Sanftheit. Sie kämpfte mit dem Schwert, plünderte Schiffe, befehligte eine Besatzung von Frauen, die sie aus der Sklaverei, der Prostitution, dem Dienst in Kolonien oder dem Missbrauch durch einen tyrannischen Partner befreit hatte. Sie war zynisch und verwegen - gewiss keine passende Märchenprinzessin für diesen dunklen, schönen Prinzen.
Würde er sie auch im Stich lassen - wie ihr einstiger Liebster, wie die ganze Welt, wie ihre Familie?
Die Freude, die kurz in ihr aufgeflackert war, verschwand aus ihrem Herzen wie die Sonne hinter einer Wolke und ließ es eisig kalt und klamm zurück. Ihre Mutter hätte ihren draufgängerischen Geliebten vielleicht noch charmant gefunden, doch ihr braver, rechtschaffener Vater hätte diesen Piraten und Spion, der sie so erbarmungslos genommen hatte, niemals akzeptiert. Er hatte allerdings auch das ruchlose, liederliche Treiben seiner abenteuerlustigen Tochter nicht gutgeheißen.
Das hatte er ihr deutlich genug gezeigt, indem er sich nach ihrer Flucht nicht einmal die Mühe gemacht hatte, sie zu suchen. Maeve reckte das Kinn vor, und plötzlich brannten ihr Tränen in den Augen. Doch sie war nicht mehr die impulsive Sechzehnjährige von damals. Nein, heute war sie eine Frau, eine Piratenkönigin, und sie würde, verdammt noch mal, tun, was ihr Spaß machte! Wen interessierte schon, was ihre Eltern davon gehalten hätten - das spielte überhaupt keine Rolle.
Als ihr eine Träne aus dem Auge kullerte, wischte sie sie ärgerlich weg. Zum Teufel mit ihrer Familie! Zur Hölle mit ihnen allen! Sie hatten sie im Stich gelassen - was kümmerte es sie also, ob ihr neuer Liebhaber ihnen genehm war oder nicht? Was ihre Eltern dachten oder vielleicht bevorzugten, war schon lange nicht mehr von Bedeutung für sie.
Ein Schluchzen wollte sich ihrer Kehle entringen, und als sie sich rasch die Hand vor den Mund schlug, um es zu unterdrücken, spürte sie die verhassten Tränen warm über ihre Finger und an ihrem Arm hinunterrinnen. Aber erwachsene Frauen weinten doch nicht, und knallharte Piratenköniginnen erst recht nicht. Verdammt, was war nur los mit ihr?
Als ihr Prinz sich zu regen begann, erstarrte Maeve.
Er schlug die dunkelblauen Augen auf und
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