Königin der Schwerter
Sicherheit seid, kann ich beruhigt zurückke h ren – auch wenn es am Ende meinen Tod bedeutet.«
Tisea sah ihn schweigend an. Dann nickte sie fast unmerklich. »Ulama hat recht«, sagte sie und läche l te. »Du bist wirklich sehr mutig.« Ihre Worte eri n nerten Hákon daran, dass sie noch gar nichts von Ulamas Tod wusste. Für einen Augenblick überlegte er, ob er ihr d a von erzählen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Tisea hing wie eine Tochtertoc h ter an Ulama und hatte schon genug durchgemacht. Es würde niemandem nu t zen, sie bei all dem auch noch mit dem Schmerz über den Verlust zu belasten. »Der Abend naht«, sagte er mit einem Blick zum Himmel. »Mein Pferd ist erschöpft. Ihr habt einen guten Platz für die Rast gewählt. Lasst uns die Nacht hier verbringen und morgen früh weite r reiten.«
Sie entschieden sich, auch in dieser Nacht kein Feuer zu entfachen. Schweigend verzehrten sie ihre kalte Abendmahlzeit und beobachteten, wie das Licht lan g sam der Dämmerung wich. Peme suchte Hákons N ä he. Anders als Tisea schien sie froh zu sein, dass er ihnen gefolgt war. Hákon bemerkte, dass sie immer wieder furchtsame Blicke zum Hi m mel hinaufwarf, und erinnerte sich daran, dass es ihre erste Nacht fern des Waldes sein musste. Gern hätte er mit ihr darüber gesprochen und sie getröstet, aber selbst jetzt kam ihr kein Wort über die Lippen. Tisea blieb ebenfalls schweigsam. Zweimal noch versuchte Hákon sie in ein Gespräch zu verwickeln, um von ihr mehr über die Umstände zu erfahren, die sie ins Hochland geführt hatten. Aber Tisea blieb einsilbig, und so gab er es schließlich auf und mac h te sich bereit, die erste Wache zu übernehmen, während sich die Frauen im Win d schatten des Hügels schlafen legten.
Viel Ruhe fanden sie nicht. Als die Nacht ihre schwarzen Schwingen über die Hügel und Täler bre i tete, zerriss ein Heulen die Stille des Hochlands. Schrill, gierig und hasserfüllt.
»Dashken!« Hákon sprang auf. Mit wenigen Schri t ten war er bei den Pferden, die mit gespitzten Ohren und angstgeweiteten Nüstern nach Süden starrten.
Das Heulen erstarb, schwoll aber gleich darauf wi e der an. Gellend und kreischend hallte es über die H ü gelkuppen hinweg.
»Wir müssen hier weg. Schnell.« Im Laufschritt führte Hákon die Pferde zum Lagerplatz und begann in aller Eile seinen Braunen zu satteln. »Mit etwas Glück können wir ihnen entkommen.«
Peme und Tisea zögerten nicht. Augenblicklich w a ren sie auf den Beinen, rafften ihre Habe zusa m men und liefen zu Silfri. Der Wallach tänzelte ne r vös, ließ aber zu, dass sie ihn sattelten. Wenige Herzschläge später saßen sie auf und galoppierten nach Norden, während sich im Süden eine unheiml i che Schwärze durch die Talmulden nordwärts b e wegte.
Frostige Luft strömte über die Flüchtenden hinweg, während sie ihre Pferde durch das Hochland jagten. Das Heulen blieb hinter ihnen zurück, erstarb aber nicht. Eine halbe Stunde preschten sie nach Norden, ohne einen rettenden Unterschlupf zu finden, ve r folgt von dem schrillen Heulen und Kreischen, das sich langsam zur Raserei steigerte.
Hákons Brauner galoppierte ruhig und leichtf ü ßig. Ohne Anstrengung überquerte er die Hügel und wäre gewiss noch schneller gelaufen, wenn Silfri mit ihm hätte Schritt halten können. Der lahmende Wa l lach war es nicht gewohnt, im Galopp zu reiten, und trug zudem zwei Reiter. Seine Kräfte schwanden rasch, und er fiel immer weiter zurück.
Hákon fluchte, als er sah, wie schwerfällig sich der Kaltblüter fortbewegte. Er zügelte sein Pferd und wa r tete, bis Tisea und Peme zu ihm aufgeschlossen hatten.
»Wir müssen schneller reiten«, rief er den beiden zu.
»Silfri kann nicht mehr.« Verzweiflung schwang in Tiseas Stimme mit. »Er ist völlig erschöpft.« Sie scha u te Hákon an. »Was … was sollen wir nur tun?« Eine eisige Windböe, die nichts Natürliches an sich hatte, fegte über das Hochland und zerrte an ihren Kleidern. Der plötzlich aufkommende Sturm riss ihr die Worte von den Lippen und machte es Hákon fast unmöglich zu antworten.
»Ich weiß es nicht!«, schrie er gegen den Wind an und wünschte sich sehnlichst, eine bessere Antwort zu haben.
»Reite du allein weiter!«, rief Tisea ihm zu. »Dies ist nicht deine Aufgabe. Dein Pferd ist schnell. Flieh, solange du es noch …«
Die Worte gefroren ihr auf den Lippen, als nicht weit entfernt Bewegung in die Schatten zwischen den Hügeln kam.
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