Königin der Schwerter
näherte.
Bethia rührte sich nicht. Die Augen fest geschlo s sen, streckte sie die tönerne Affenskulptur dem Licht entgegen. Dabei bewegte sie die Lippen, als singe sie ein stummes Lied, während sich der grüne Lich t strahl aus den Augen der Statue irgendwo in der Dunkelheit jenseits der Tunnelöffnung verlor.
»Was tut Bethia da?«, fragte Orla flüsternd.
»Sie führt«, erwiderte Aideen ebenso leise. »Das grüne Leuchten und das Lied, das sie singt, verm ö gen die Sphäre zwischen den Welten zu durchdri n gen und werden Zarife sicher hierher leiten.«
»Beten wir, dass sie erfolgreich sein möge.«
Das Licht, das zu Beginn kaum mehr als ein Fu n ken in der Dunkelheit gewesen war, war jetzt deu t lich größer geworden.
Gleich ist sie hier! Aideen spürte, wie ihr Herz he f tig zu pochen begann. Wie die anderen konnte auch sie es kaum erwarten, dass sich die Prophezeiung e r füllte.
Plötzlich kam Unruhe auf Schreckensrufe wurden laut, und Aideen sah, wie zwei Hüterinnen zu Bethia eilten. Die Seherin schwankte. »Aideen!«, rief sie. »Nimm den Simion. Nimm ihn!«
Aideen blieb vor Schreck fast das Herz stehen. O h ne zu überlegen, bahnte sie sich einen Weg durch die Umstehenden und erreichte Bethia in eben dem A u genblick, da ihr der Simion aus den Händen glitt. G e schickt fing sie ihn auf.
»Was ist geschehen?«
»Was ist mit ihr?«
»Sie hat einen Schwächeanfall.«
»Bringt Wasser, schnell!«
»Bei den Göttern, so helft ihr doch.« Von überall her waren Stimmen zu hören. Alle waren bestürzt und in großer Sorge um die Seherin. Aideen aber hatte nur Augen für die Skulptur. Instinktiv wusste sie, dass sie vollenden musste, was Bethia begonnen hatte, sonst würde Zarife für immer in der Sphäre zwischen den Welten gefangen sein. Ohne zu übe r legen, hielt sie den Simion so, dass der Lichtschein wieder in den Tunnel hineinreichte. Es war ein ve r zweifelter und vielleicht nutzloser Versuch, das Schlimmste zu verhindern, aber es war alles, was sie tun konnte, denn sie kannte das Lied nicht, das Bethia gesungen hatte.
Mit dem Mut der Verzweiflung trat sie vor das Tor, das wie ein gieriges schwarzes Maul im Felsen gähnte. Ein eisiger Windzug, der etwas Widernatü r liches an sich hatte, strömte aus der Schwärze und streifte ihr Gesicht wie die Finger des Todes, aber sie wankte nicht und hielt den Simion so unerschü t terlich, wie Bethia es getan hatte, dem fernen Lichtschein entg e gen. »Komm«, flüsterte sie, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. »Bitte komm. Wir sind hier. Wir erwarten dich.«
Halte ein, Schwester!
Aideen zuckte zusammen. Fast hätte sie die Skul p tur fallen gelassen. »Du?«, entfahr es ihr.
Sie darf das Tor nicht durchschreiten. Wie ein Blitz schoss das wolkenhafte Gespinst heran. Es platzierte sich genau vor dem grünen Lichtstrahl, konnte diesen aber nicht abschirmen, denn er ging mitten durch den Nebel hindurch.
Halte ein, ich flehe dich an, kreischte es in A i deens Gedanken. Sie darf nicht zurückkehren …
»Geh aus dem Weg!« Aideen hielt die Statue e t was höher und versuchte, dem Nebel auszuweichen.
Ihr werdet alle sterben … Alle werden sterben! Das G e spinst gab keine Ruhe. Aideen blickte sich um, aber niemand schien es zu bemerken. Während sich die He i lerinnen um Bethia bemühten, starrten die and e ren weiter auf das Tor, wo sich das Licht langsam, aber stetig näherte. Offenbar hatten sie nicht den geringsten Zweifel, dass Aideen die Anr u fung auch ohne Bethias Hilfe beenden konnte. Die Zuversicht der anderen und die Gewissheit, dass das Licht nach wie vor näher kam, gaben Aideen neuen Mut. »Verschwinde!«, herrschte sie das Nebelgespinst an. »Ich werde volle n den, was Bethia bego n nen hat. Du kannst mich nicht aufhalten.« Sie wollte die Anrufung fortsetzen, als in ihren Ohren jäh ein schriller Pfeifton zu hören war, der ihr rasende Kopfschmerzen einbrachte und jeden anderen Geda n ken unmöglich machte. Instinktiv wol l te sie sich die Ohren zuhalten, unterdrückte aber im letzten Auge n blick den Impuls, die Statue loszula s sen.
»Hör auf!« In ihrer Verzweiflung schrie sie die Wo r te laut hinaus. Das Pfeifen wurde unerträglich. Aideen keuchte auf Schweißperlen traten ihr auf die Stirn, während sie krampfhaft versuchte, den Simion festz u halten.
Ich lasse nicht zu, dass sie alles vernichtet. Ich lasse nicht zu, dass die Verblendeten dem Bösen die Tür öf f nen. Ich habe geschworen zu wachen, und
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